Pressefreiheit in Ungarn unter Druck: Orbán triumphiert, Medien leiden
Nach dem Wahlsieg des ungarischen Premiers stellt die wichtigste Tageszeitung ihren Betrieb ein. Und noch ein Medium ist bedroht.
Die vor 80 Jahren gegründete Zeitung, die lange Jahre als Sprachrohr des gemäßigten Konservatismus galt und auch während des Kommunismus mit vorwiegend kulturellen Themen eine gewisse Unabhängigkeit bewahren konnte, war vor 20 Jahren von Fidesz gekapert worden. Während seiner ersten Regierungszeit (1998–2002) fusionierte Orbán sie mit dem rechtsextremen Blatt Napi Magyarország (Tägliches Ungarn), um sie zur größten bürgerlichen Tageszeitung zu machen. Zwar war sie nie Parteizeitung, sie berichtete aber lange Zeit wie ein Sprachrohr von Fidesz.
Besitzer der Zeitung ist der Oligarch Simicska, ein Jugendfreund von Viktor Orbán. Jahrelang genoss er die Gunst des Premiers, was sich in öffentlichen Aufträgen für sein Bauimperium niederschlug. Vor drei Jahren verkrachten sich die beiden, fortan herrschte Krieg. Simicska wandte sich der rechtsextremen Jobbik zu und brachte seine Medien gegen Orbán in Stellung. Spezialität: das Aufdecken von Korruptionsskandalen und peinlichen Affären von Regierungsleuten. Neben Magyar Nemzet, die gemäßigt-konservativ berichtet, zählen noch der Sender LanchidRádió, der Kanal Hír-TV und das Onlineportal index.hu zum Medienimperium des Oligarchen.
„Magyar Nemzet überlebte das Faschistenregime und den Kommunismus. Unter dem Orbán-Regime wird es jetzt gekillt“, schrieb der Journalist Ádám Tompos auf Facebook. Auch Lanchid Rádió stellt ab sofort seinen Betrieb ein. Bei Hír-TV wurden Entlassungen angekündigt. „Es kam nicht unerwartet, dass etwas Drastisches geschehen würde bei Magyar Nemzet“, sagt Krisztian Simon, Medienexperte an der Freien Universität Berlin. Ein Mitarbeiter der Zeitung habe ihm noch vor einigen Tagen gesagt: „Es gibt zwei Szenarien: Entweder macht Simicska den Laden dicht, oder Orbán macht uns die Arbeit unmöglich.“
Wie alle kritischen Medien war die Zeitung mit einem Annoncenboykott von öffentlichen Einrichtungen und regierungsnahen Unternehmen bestraft worden. 30 Stunden nach dem Wahlergebnis habe sich daher das erste Szenario verwirklicht. „Simicska wollte mit der Zeitung Politik betreiben“, sagt Simon. Die Zeitung habe seit Jahren massive Verluste gemacht. „Als er sah, dass weder Jobbik noch andere Oppositionsparteien eine Möglichkeit haben, eine größere Rolle in der ungarischen Politik zu spielen, entschied er sich, die Zeitung nicht mehr zu finanzieren.“ Medienpluralismus und eine kritische Öffentlichkeit hätten Simicka nie wirklich interessiert, glaubt Simon.
Die ungarische Öffentlichkeit erleide einen schweren Verlust durch das Schließen des Blattes, meint der Medienexperte. Es verschwinde ein Qualitätsmedium, das gleichzeitig konservativ und Órban-kritisch sei. Mit 80 Beschäftigten hatte Magyar Nemzet eine große Redaktion, die immer wieder exklusive Geschichten recherchieren konnte.
Auch die oppositionelle Wochenzeitung Magyar Narancs ist bedroht. Gerade wurde bekannt, dass die Firma Appennin des Oligarchen und Orbán-Freundes Lőrinc Mészáros letztes Jahr das Gebäude gekauft hat, in dem sich die Redaktion der Zeitung befindet. Prompt wurde die Miete erhöht. Magyar Narancs musste Stellen abbauen.
Eine Geste der Solidarität mit den bedrohten Medien leistet die Wochenzeitung HVG, das ungarische Äquivalent zum Spiegel. Sie rief ein Programm zur Erhaltung von unabhängigem Journalismus ins Leben.
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