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Pressefreiheit in GroßbritannienTwitter schlägt Maulkorb

Mit einer speziellen Gerichtsverfügung können Prominente Gerüchte in Großbritannien im Zaum halten. Doch gegen Twitter-Nachrichten ist die britische Justiz machtlos.

Klatsch und Tratsch auf allen Kanälen. Nur die Presse darf nicht immer. Bild: Franziska Fiolka / photocase.com

Die britische Yellow Press ist bekannt für ihre Aggressivität: Deftige Schlagzeilen, abgehörte Telefongespräche, geheime Sex-Videos - Prominente haben im Kampf der Klatschblätter um Skandale und Auflagen wenig zu lachen. Gleichzeitig haben sie aber auch ein Mittel gegen die Presse, was in Europa ihresgleichen sucht: mit einer "super injunction", einem juristischen Maulkorb, können Richter den Medien pauschal die Berichterstattung zu bestimmten Themen verbieten. Mehr noch: Selbst über das Verbot dürfen die Medien nicht berichten.

Die Umgehung dieser Berichtsverbote ist ein Politikum. So landete das Whistleblower-Portal Wikileaks bereits 2009 einen ersten Achtungs-Treffer, als es Dokumente über einen Giftmüllskandal in Afrika veröffentlichte, den der Ölkonzern Trafigura per britischem Gerichtsbeschluss aus der Öffentlichkeit halten wollte. Schließlich schalteten sich sogar Parlamentsabgeordnete ein, um den Presse-Knebel zu beseitigen.

Doch in den nun veröffentlichten Berichtsverboten geht es nicht um Giftmüll oder Korruptionsskandale, sondern in erster Linie um Prominentenklatsch. Zwei Schauspieler haben eine Affäre. Ein Komiker ist Stammgast in einem SM-Studio. Und ein Fußballer hatte Sex mit einem Big-Brother-Star. Obwohl die Nachrichten kurz und ohne Details veröffentlicht wurden, schnellten die Zugriffszahlen von Twitter in Großbritannien um 14 Prozent hoch, wie die Analysten der Firma Hitwise ermittelten. So viel Zugriffe hatte das Kurznachrichtenportal auf der Insel noch nie. Immer weitere Verfügungen werden publiziert.

Die Justiz will sich das nicht bieten lassen. Laut einem Bericht des Telegraph hat ein Gericht nun eine Verfügung speziell gegen die Verbreitung von Berichten auf sozialen Medien wie Twitter erlassen. In diesem speziellen Fall geht es um eine Mutter, die die lebenserhaltenden Maßnahmen bei ihrer hirngeschädigten Tochter abschalten lassen will. Reporter dürfen sich der Frau nicht mehr nähern oder ihre Verwandten und Bekannten zu dem Fall befragen. Gegen Twitter selbst können britische Gerichte aber nicht direkt vorgehen. Denn Server und Unternehmenszentrale sind in den USA.

Wikipedia-Gründer Jimmy Wales hat sich gegenüber der BBC kritisch über die weitreichenden Verfügungen geäußert. Diese seien ein Verstoß gegen die Menschenrechte: "Sie sollten so schnell wie möglich abgeschafft werden", sagte Wales. "Es darf kein Gesetz geben, dass die Veröffentlichung von legal erworbenen und korrekten Informationen verbietet."

Gleichzeitig räumt er auch eine gewisse Wirksamkeit der Verfügungen ein. "Die Wikipedia-Community erlaubt solche Gerüchte nicht auf der Seite, wenn keine verlässliche Informationsquelle dafür existiert", erklärt Wales. Wenn Gerüchte alleine auf Twitter verbreitet werden, dürfen sie keinen Eingang in Wikipedia-Artikel finden. Indem die britische Presse an Veröffentlichungen gehindert wird, tauchen die´Gerüchte auch nicht in der Internet-Enzyklopädie auf.

Das britische Recht ist für viele amerikanische Internet-Unternehmen ein Dorn im Auge - denn es ist ein regelrechter Gerichtstourismus entstanden, um Kritik zu unterbinden. So hat der US-Milliardär Louis Bacon laut dem Guardian bei einem britischen Gericht eine Verfügung gegen drei Plattformen eingereicht, um den Namen eines Nutzers zu erfahren, der laut Bacon verleumderische Gerüchte über ihn verbreitet habe.

Zwar wurden die Beiträge bereits vor der Klage auch aus der Wikipedia entfernt, Bacon möchte aber offenbar die Quelle für die Behauptungen endgültig unterbinden. Ob eine britische Gerichtsverfügung ihm dabei weiter hilft, ist jedoch zweifelhaft: auch die Server der Wikipedia stehen in Amerika, nicht in Großbritannien.

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