Press-Schlag: Da hilft doch nur noch der Harkentrick
Der Spieltag hat’s bewiesen: Wir erleben gerade das Ende des Fußballs, wie wir ihn bislang kannten. Rettung ist weder von Schalke noch vom HSV zu erwarten.
Das Schöne am Fußball ist ja, dass er so wundervoll verlässlich ist. Während die Welt an manchen Tagen aus überall Verschwörungen witternden besorgten Bürgern und atemberaubend dusseligen Minderleistungen staatlicher Stellen zu bestehen scheint, ging schon in der vergangenen Saison in der Kickerei zuverlässig alles seinen Gang, sprich: Schalke wurde nicht Meister und der HSV stieg gewohnheitsmäßig nicht ab.
Natürlich gab es auch im Fußball, pardon: im Männerfußball immer mal wieder Skandale, finstere Vorkommnisse und gemeinste, immer nur den eigenen Lieblingsverein betreffende hinterrückse Fehlentscheidungen, aber im Großen und Ganzen war selbst das, was im Boulevardzeitungssportteil gern „Aufreger“ genannt wird, von bemerkenswerter Entspanntheit.
Jetzt aber ist anscheinend Schluss mit gemütlich. Weil: Entweder hat die Bundesliga mindestens diesen Spieltag von einem bedauerlicherweise nicht unbegabten Drehbuchautor scripten lassen, der seinen Auftrag „Mach mal was, womit niemand rechnet“ ein bisschen zu ernst genommen hat und es lustig fand, Mönchengladbach gegen den HSV gleich zwei Elfmeter verschießen plus die Bayern zumindest in der ersten Halbzeit von Frankfurt vorführen zu lassen.
Dazu dann aber auch noch ausgerechnet den 1. FC Köln zum Bayernverfolger Numero uno zu machen, ist schon ein ziemlicher Geniestreich, denn wollte das nicht eigentlich diese Saison Schalke sein? Also diesmal aber wirklich? Oder aber wenigstens wie immer der BVB? Pustekuchen, wobei die Idee, Hertha samstags auf Tabellenplatz drei landen zu lassen, nicht wirklich überzeugen kann, weiß ja schließlich jeder, dass die Berliner eine gewisse Rückrundenschwäche haben.
Deswegen folgt auf das „Entweder“ von etwas weiter oben nun auch das vom Leser sehnlich erwartete „Oder“, nämlich: Oder aber die letzte Bastion der Verlässlichkeit, also der Männerfußball, ist einfach keine mehr. Und am Ende wird vielleicht gar nicht Bayern München Meister, sondern nur ein Säxit kann noch verhindern, dass RB Leipzig den Titel gewinnt. Während der HSV als Absteiger nicht etwa St. Pauli oder den FCK oder einem der anderen traditionellen Immer-mal-wieder-Aufsteiger-Clubs Platz macht, sondern den Kickern von Heidenheim, die sich dann in den folgenden Jahren mit den Leipzigern hochspannende Meisterschaftsduelle liefern werden, alldieweil Schalke und der HSV sich in der Zweiten Liga gegenseitig zeigen, was eine Harke ist. (Diese Redensart stammt übrigens aus dem Schulstück „Der ungeratene Sohn“, das der Zwickauer Goldschmied Hans Ackermann 1540 verfasste. Der Sohn eines Bauern kehrt darin nach dem Lateinstudium nach Hause zurück und tut ganz eingebildet so, als kenne er die Bezeichnungen für die Geräte nicht mehr. Als er aus Versehen auf eine Harke tritt und ihm der Stil gegen den Kopf knallt, ruft sein genervter Vater: „Jetzt weißt du, was eine Harke heißt.“)
Also Harke zeigen steht für: harten Männerfußball spielen. Aber vielleicht war dieser Spieltag (mitsamt der erstmaligen Verwendung des Wortes postfaktisch im Spielbericht eines großen Onlineportals) ja auch nur ein Ausrutscher, und bald ist alles wieder so verlässlich wie immer. Bayern führt dann mit zehn Punkten Abstand vor der Konkurrenz, der HSV irrlichtert um den Relegationsplatz herum, Schalke beschließt, dass man in der nächsten Saison ganz groß auftrumpfen wird, Hertha verkackt die Rückrunde mit gewohnter Grandezza, und Darmstadt, nun Darmstadt macht, wozu es gerade Lust hat. Vielleicht aber eben auch nicht. Elke Wittich
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