Press-Schlag: Freund des Orients
TRAININGSLAGER Karl-Heinz Rummenigge ist kein Mann des Mainstreams und somit auch kein Katar-Verächter. Die Argumente des FC Bayern-Vorsitzenden sind durchaus schlagkräftig
Um ein Haar wäre er gar nicht zu erkennen gewesen. Damals, in London, als die wundersame Wandlung des FC Bayern ihren Anfang nahm. Derjenige, der sie maßgeblich initiiert hatte, namentlich Loden-Kalle, war ohne Edelfilz, dafür aber im eleganten Sommeranzug nach London gekommen, die Temperatur war mild, die Aussicht heiter. Im Champions-League-Finale standen sich die Bayern und der Ballsportverein aus Dortmund gegenüber, doch von Anspannung war an diesem Nachmittag bei Loden-Kalle nichts zu sehen. In den Burlington Arcades musterte er eine Kollektion an Vintage-Uhren, er hatte eben nicht nur Fußball im Kopf, nein, es blieb auch noch Raum für andere Dinge.
Kann es verwundern, dass die Bayern das Finale der Champions League gewannen gegen die Dortmunder, wo der Vorstandschef, freilich ohne es auszusprechen, den Fußball zur schönsten Nebensache der Welt macht?
Seitdem liegt ihm die Welt zu Füßen. Nicht nur im Okzident, wo die Engländer ihn für den besten Funktionär von Lissabon bis Wladiwostok halten, nein, auch im Orient hat Loden-Kalles Wort Gewicht. Und er setzt es ein für die Verständigung zwischen Kulturkreisen und deren Volkswirtschaften ein. Seit Jahren pflegt er gute Kontakte in den arabischen Raum, was gerade in der heutigen Zeit von unschätzbarem Wert ist. Er ist gut auf die Gastgeber im Trainingslager in Katar zu sprechen, wo es in diesem Winter wieder hingeht, ja er trägt den Katarern nicht einmal die beiden Rolex-Uhren nach, die ihn bei einem früheren Aufenthalt zu einer unangenehmen Bekanntschaft mit dem Zoll verhalfen. Vielmehr hat Loden-Kalle die Vorzüge des angeblich besten Trainingslagers der Welt entdeckt – und tritt der Kritik unerschrocken entgegen.
Schon im vergangenen Jahr machte er die Kritiker mundtot, die in aller Pingeligkeit das Trainingslager des FC Bayern München im Golfstaat skandalisiert hatten – wegen Verletzung der Menschenrechte. Sicher, den Ausflug zu den Saudis, den es dann auch noch gab, den hätte man sich vielleicht sparen können, aber an der Ächtung Katars mitzuwirken, das wäre dann doch ein wenig zu viel Mainstream.
Loden-Kalle wagte es stattdessen, anzusprechen, was sich die Transatlantiker unter den deutschen Geostrategen gar nicht mehr trauen – er kritisierte die USA! Dass dies eine Retourkutsche für das verspätete Visum war, das die pingeligen Amerikaner ihm im Sommer 2014 ausgestellt hatten, kann so gut wie ausgeschlossen werden. Denn hier geht es nicht ums Kleingeld, sondern um den Rechtsstaat. „Aber ich habe bei Amnesty International gelesen, dass in 112 Ländern gegen Menschenrechte verstoßen wird. Unter anderem bei einem Verbündeten, den USA. Ich sage nur Guantánamo oder Todesstrafe.“
Das saß. Denn endlich war mal klar, dass sich hier nicht einer einfach nur billige Prügelknaben aussucht, auch kann von einer Profilierungsabsicht gar keine Rede sein, denn Loden-Kalle tat dies erst im Augenblick der Bedrängnis. Und es zeigt ja auch, dass die Moral vor allem bei seinen Kritikern ins Kraut schießt und dass diese beim Realitätscheck nicht selten scheitern. So geht es nun erneut ins Trainingslager nach Katar, nicht nur laut Rummenigge ein ganz hervorragendes. Nach Saudi-Arabien geht es wohl nicht, und dass beim nächsten USA-Trip die Exklave Guantánamo angeflogen wird, ist auch recht unwahrscheinlich. Stefan Osterhaus
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen