Press-Schlag: Standort statt Nation
■ Prima: Oliver Neuville kann nicht Deutsch - darf aber morgen für „Deutschland“ spielen
„Mein Vater wollte immer Deutsch mit mir reden. Aber ich hatte keine Lust und habe einfach nicht zugehört.“ Ein sympathischer Bursche, dieser Oliver Neuville. Der Stürmer des Fußballbundesligisten Hansa Rostock ist Sohn eines Deutschen und einer Italienerin. Weil er sich damals taub stellte, spricht er heute nur die Sprache seiner Mutter sowie Spanisch und Französisch.
Am Fußball-Standort Deutschland arbeitet Neuville (24) erst seit 416 Spielminuten. Doch das Trikot mit dem Adler drauf darf Neuville morgen abend in Düsseldorf (18 Uhr) trotzdem tragen – erfreulicherweise.
Neuville gehört gegen Südafrika erstmals zum DFB-Kader, weil er zwei Pässe besitzt: eine deutschen und einen Schweizer. Hans-Hubert Vogts hat offensichtlich kein Problem mit doppelten Staatsbürgern, im Gegensatz zu jenem Mann, zu dem ihm ein männerfreundschaftliches Verhältnis nachgesagt wird.
Man kann sich ausmalen, was Helmut Kohl Vogts in dieser Woche am Telefon gesagt hat: „Also wirklich, Berti, klug ist das nicht, da rackern sich der Schäuble, der Waigel und ich tagelang ab, um dem Geißler und der FDP die doppelte Staatsbürgerschaft für Ausländerkinder auszureden, und dann willst du plötzlich einen aufstellen, der zwei Pässe hat. Dieser Neuville, das ist doch gar kein richtiger Deutscher. Na gut, du bist der Bundestrainer. Aber wenn du jetzt auch noch für Türkenbabys Partei ergreifst, werde ich sauer.“
Nun ist Vogts aber nicht nur ein bißchen liberal, er ist auch clever. Die Nominierung Neuvilles bewirkt nämlich, daß der Neu-Mecklenburger nie für die Schweizer Auswahl spielen darf – für die sich der Stürmer auch hätte entscheiden können, und in der er allemal bessere Chancen gehabt hätte.
So hat sich Vogts wohl die bekannte Hoeneßsche Devise zu Herzen genommen: „Egal, ob er bei uns meistens auf der Tribüne sitzt, Hauptsache, er spielt nicht woanders.“
Vor einem Jahr machte sich der Coach bei den Fans des morgigen Testspielgegners ähnlich unbeliebt wie jetzt bei den Schweizern. Damals sprach sich Vogts dafür aus, daß Sean Dundee – ältere Leser werden sich möglicherweise noch an ihn erinnern – die deutsche Staatsbürgerschaft bekommt, damit er für den DFB stürmen konnte. Südafrikas Coach Clive Barker pöbelte daraufhin: „Die Deutschen waren viele Jahre Weltmeister und haben Stammbäume wie keine andere Nation. Wir aber haben einen Stürmer, der zu den drei besten der Welt gehört, und trotzdem wollen sie ihn uns stehlen.“
Der Begriff „Nationalität“ wird im Fußball so ad absurdum geführt, wie er es verdient. Das zeigt sich auch in Spanien, wo in der Auswahl jeder mittun darf, der seit mindestens sechs Jahren in der dortigen Liga spielt. Und britische Staatsbürger dürfen für Irland kicken, wenn sie entsprechende verwandtschaftliche Beziehungen vorweisen. Woraus folgt: Da die Regeln, wer in „Nationalmannschaften“ mitspielen darf, sowieso nicht einheitlich sind, kann man diese Einrichtungen auch gleich ab
Französischer Zungenschlag: zukünftiger DFB-Auswahlspieler Neuville Foto: AP
schaffen. Statt der „Nationalmannschaften“ sollten Auswahlteams der Verbände gegeneinander spielen, die jeden Kicker einsetzen können, der gerade im jeweiligen Land tätig ist. Auch wenn er nicht einmal 416 Minuten dort gearbeitet hat. René Martens
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