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■ Press-SchlagDer Schlußpfiff für das Comeback-Kid

Ohne Helm und Polster sieht Joe Montana nun endgültig nicht mehr aus wie ein Football-Spieler. Und selbst mit seiner Ausrüstung wirkte er immer wie ein zerbrechlicher Zwerg zwischen all den Kolossen auf dem Spielfeld. Nie hat jemand schlüssig erklären können, warum ausgerechnet dieser unauffällige Niemand mit der Ausstrahlung eines Sachbearbeiters der Beste in einer Sportart werden konnte, die zuerst einmal Athletik erfordert. Montanas durchschnittlicher Körper paßte immer in Anzüge von der Stange, er war nicht sonderlich schnell auf den Beinen, und selbst das wichtigste Werkzeug eines Quarterbacks, sein Wurfarm, wurde von den Talentspähern nur als „durchschnittlich“ eingeordnet.

Aber immer, ob nun als Universitätsspieler oder als Profi, umgab das unscheinbare Männchen mit dem Allerweltsgesicht die Aura des Nichtverlierenkönnens. Kein anderer Spielmacher hat so oft sein Team in letzter Sekunde nach aussichtslosen Rückständen noch zum Sieg geführt. Die Wiederauferstehungen auf dem Spielfeld wurden nur noch übertroffen von denen vom Krankenbett. Er hat Verletzungen erlitten, die für fünf Spieler zum Aufhören ausgereicht hätten, das Ellbogengelenk seines rechten Wurfarms würde ohne die Ersatzteile einfach auseinanderfallen. „Er ist wie Lazarus“, sagte ein Teamkollege über ihn, „du rollst den Stein weg, er humpelt raus – und wirft 300 Yards.“

In 16 Profijahren lieferte Montana der Presse keinen einzigen mickrigen Skandal, glänzte nicht durch Eloquenz oder Show-Talent. Er war ein Saubermann, ein unglaublicher Langweiler. Trotzdem wird er verehrt wie kaum ein Sportler vor ihm – vor allem in San Francisco. Mit den dort beheimateten 49ers erreichte er in den 80ern vier Mal die Superbowl, das mit Abstand bedeutendste Sportereignis der USA – vier Mal gewann er.

Wenn Montana, mit 38 Jahren endgültig am Ende seiner Karriere, auf Drängen seiner Frau nun doch zurücktritt, verliert der Football, dieser Sport, der gern als „Schach auf Rasen“ bezeichnet wird und trotz aufeinanderkrachender Leiber und martialischer Gladiatorenausrüstung wahrscheinlich der komplizierteste Mannschaftssport der Welt ist, seinen intelligentesten Protagonisten. Den Spieler, der am konsequentesten in das Wesen des Spiels eintauchte, der für dieses Spiel geboren war, weil ihn nur eine Eigenschaft von allen anderen Quarterbacks unterschied, die das US-Magazin Sports Illustrated so beschrieb: „Wo andere Chaos und Gefahr sehen, sieht Montana Ordnung und Möglichkeiten.“ Jetzt aufzuhören, war wahrscheinlich die allerletzte Gelegenheit, die eigene Legende nicht selbst zu demontieren. Er hat sie ebenso still, akkurat und souverän genutzt, wie er all die Jahre seine unglaublichen Pässe geworfen hat. Thomas Winkler

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