Press-Schlag: Putzen nicht vergessen!
■ Der definitive taz-Test in diesen haltlosen Zeiten: Die zehn allerbesten Fußballschuhe
Die moderne Welt wird jeden Tag komplizierter, ja „unübersichtlicher“ (Habermas). Moden und Trends wechseln schneller als die Polizei erlaubt. Von dieser gleichsam globalen und digitalen Entwicklung bleibt auch der Fußball nicht verschont. Fußballschuhwerbung präsentiert sich immer zynischer, amoralischer und nihilistischer. Der letzte Sündenfall: Lars Rickens Verwendung für Nike.
Wen wundert es, daß die Menschen angesichts der drohenden Einführung von Pay- TV und der rasanten „Umwertung aller Werte“ (Nietzsche) neuen Halt suchen? Ihre taz-Lebenshilfe hat ermittelt: Es gibt tatsächlich eine Möglichkeit, die nötige Bodenhaftung wiederzufinden; streifen Sie eines der folgenden Paar Fußballschuhe über!
1. Puma „Dietrich Weise“. Wie kritisch wir Leder, Stollenwerk, Nähte, Senkel, Ösen, Form und Inhalt auch beäugen, überprüfen, wie viele Stichproben wir auch nehmen, ob wir Größe 36 oder Größe 45 1/2 anprobieren, ob bei Karstadt- Sport (Frankfurt/Main) oder im Schuhhaus Pommer (Neuendettelsau): Beide Schuhe gleichen sich jeweils stets wie ein eineiiger Zwilling dem anderen. Wir nennen das Maßarbeit!
2. Lotto „Primo Pu“ Kanariengelb. Super aussehende Gamaschen von Norwich City (den „Kanarienvögeln“), dem Verein, der im Oktober 1993 den FC Bayern München aus der zweiten Runde des Uefa-Cups hinauskegelte. Unvergessen. Schande über euch! Und Ruhm und Preis zugleich (ab 129 Mark).
3. Puma „Cup Allround“. Der Name verrät: ziemlich alright, die Schlappen. Lothar Matthäus weiß „ein Lied“ von ihren Qualitäten zu singen, eine Hymne des Erfolgs – wuchs er doch in unmittelbarer Nähe der Herzogenauracher Puma-Fabrik auf (sein Vater war Hausmeister bei Puma), enterte die Bundesliga in Pumas Allroundern, entwickelte sich zum wahren und vielleicht letzten Allrounder auf dem Platz (zentrales Mittelfeld, Ausputzer und spielgestaltender Libero all together), räumte all in all fast alle für einen Fußballer erreichbaren Titel all around the world ab und ist auch sonst recht allgegenwärtig in der Welt des Scheinwerferlichts. „Cup Allround“ halt, da beißt die Maus keinen Schnürsenkel ab.
4. adidas „World Cup“. Der ästhetisch-ergonomische Klassiker, das Urei aller Soccer- Schlappen, die Hausschuhmarke von „Koteletten-Paule“ (WM 1974). Fersenbetont und innenristgeprüft. „Die bleiben auch bei Regen griffig“, lobt die Kundschaft. Empfehlenswert besonders für antrittsschnelle linke Verteidiger.
5. adidas „Beckenbauer Liga C“. Immobile Stollen, garantierte Standfestigkeit, hartplatzkompatibel. Eignen sich als Rechenersatz fürs Kohlrabibeet. Der „multifunktionelle Münchner“ (Heribert Faßbender) des adidas-Ensembles. Etwas unsicheres Außenspannverhalten, bricht beim Fernschuß aus. Vorsicht auf langhaarigem Rasen (Netzer-Faktor). Nur bedingt gutzuheißen.
6. Puma „Cup“ Stahlazurblau. Gefallen durch ins Sohlenzentrum eingelegte Mosaikarbeiten aus elastischem Glasbausteinplastik, Typ Jugendstil. Erweckt die Aufmerksamkeit des jungen Konsumenten. Vater sagt leidgeplagt „Jaaa“, wenngleich nicht ganz billig. „Also, jetzt lauf man 'n paar Meter hin und her! Und? Kein Gerutsche? Kein Geschlabber?“ Kommt drauf an.
7. adidas „Beckenbauer Team“. Welchen Ball diese Klumpen auch treten, er verwandelt sich sofort in einen Klumpen Gold. Den Weg zum Tor findet er nimmer. Die Sohlen für das Unentschieden, sog. „Turniermannschaftssandalen“. Und was meint der Nachwuchs? „Papa, die sind nicht eingefädelt...“ Trotzdem: bobicrote Stollen und filigranes Nahtmuster auf der Kappe. Hoher Damenattraktivitätsfaktor.
8. Lotto „Gullit Trainer Jr.“. Stabil, tretsicher, rutschfest, abwaschbar (90 Grad ohne Schleudern, anschließend Wollwiege). Vor dem Kauf jedoch immer eine Nummer zu groß, nach der Reinigung immer eine Nummer zu klein. Waschen Sie den einen, kaufen Sie den anderen: Im Mittel paßt dann alles wie gebacken und gewachst. Hervorragend für ein Match mit pitschnassen Tennisbällen auf dem Schulhof.
Tip für kriselnden Bochumer Dariusz Wosz: Schuhe nicht vergessen! Foto: taz-Archiv
9. Puma „King“. Gräuslich grelle Farben – von Schmaukenweiß bis Zinnoberrot. Karte! Der B-Jugend-Sohn klagt beim Einkauf: „Die drücken, Papa!“ „Stell dich nicht so an!“ „Tu ich aber!“ „Dann nimm halt andere!“ Warum nicht gleich so?
10. Mizuno „Euro Campione TS“ Reduziert, verkündet das Werbeplakat. Eben drum. Und was ein alberner, präpubertärer Name! „TS“, haha, „GTI“, „VWL“, „DDT“ oder wie? Und von wegen „Euro Campione“! Ha, ich sage: Manchester, Euro 96, 0:0, Squadra Azzurra, go home, aber avanti!
Geheimtip: Das Double „adidas Stratos 2000“ (freilaufende Schuhe) und „Nike Air“ (in der Halle): ein Heldenpaket. „Sensation“, spricht der Torschützenkönig des TSV Falkenheim (G. Koch). Gegen den FC Feucht habe er ein Tor von der Mittellinie erzielt. „Einen erfolgreichen Schuh wirft man nicht weg.“ Der gute Schuh bleibt. Wenn auch sonst alles im Schlund der dahinrasenden Zeit versinkt. Aber: Putzen nicht vergessen! Jürgen Roth
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