Press-Schlag: „Ich war überrascht“
■ Oliver Kahns Wahl zum Profi des Jahres beweist die Lage des deutschen Fußballs
Oliver Kahn ist also der Profi des Jahres. Auch so eine Wahl? Ja – aber doch nicht irgendeine. Nicht Journalisten oder Prominente haben für das Fachmagazin Hattrick abgestimmt, sondern die in der Vereinigung der Vertragsfußballer (vdv) organisierten Profifußballer.
Kahn (29), Profi bei Bayern München, ist ein herausragender Torhüter – bei Bayern München. Was das DFB-Team angeht, verbrachte er die erste Jahreshälfte auf der Bank, einschließlich WM. Mit dem WM- Aus von Lyon avancierte er zur Nummer 1 – und kassierte in drei Spielen zwei Tore, bei denen man auch mit Wohlwollen nicht um das Wort Torwartfehler kommt; das 0:1 in der Türkei und das 0:1 gegen die Niederlande (Endstand: 1:1).
Dennoch ist Kahn für die Kollegen der herausragende deutsche Fußballer. Das gibt zu denken. Offenbar fiel ihnen kein besserer ein.
Er ist auch der erste Torhüter, der die Wahl gewonnen hat. Der erste Sieger war 1996 der KSC-Stürmer Sean (Do you remember?) Dundee. Dahinter folgten mit Elber, Bobic und Häßler Offensivspieler, und erst auf den Plätzen die bei der EM durch sogenannte deutsche Tugenden hervorgetretenen Defensivkräfte Helmer und Eilts. 1997 siegte mit Olaf Thon ein Libero, der sowohl für den organisatorischen als auch kreativen Bereich des Spiels stand. Dahinter rangierten die Kreativspieler Balakov und Häßler.
Nun rangiert der erste Bundesliga-Profi, der für kreativen Offensivfußball steht, auf Rang 4. Es handelt sich um den Bayern-Stürmer Giovane Elber, von Geburt und laut Ausweis Brasilianer.
Hinter Kahn (76 Stimmen) aber kommen Lothar Matthäus (32 Stimmen) und Jens Jeremies (23 Stimmen). Wenn Kahn für Professionalität und Willenskraft, aber auch für talentbedingte Klasse steht, ist Jeremies das Symbol dafür, wie weit einen allein existentielles Verständnis vom „Spiel“ bringen kann. Und Lothar Matthäus (37) steht dafür, wie erstaunlich weit man als ehemaliger Ausnahmefußballer mit Professionalität und Willen immer noch kommen kann. Im Vorjahr hatte Matthäus – als Nicht-vdv- Mitglied nicht wahlberechtigt – noch eine Stimme erhalten. Für Matthäus mag das Votum eine Art Entschuldigung sein, für Jeremies der Beweis, daß er mit seinem Ansatz richtig liegt. Und für Kahn die erstaunliche Botschaft beinhalten, daß sich die Kollegen nicht von persönlichen Antipathien leiten lassen. Daß die um ihn lieber einen großen Bogen machten, sei „ein weitverbreitetes Vorurteil“, sagte Kahn in einem Interview dem an diesem Freitag erscheinenden Hattrick: „Aber ich gebe zu, von dieser Wahl war ich zunächst auch überrascht.“
Außenstehenden zeigt die Wahl, wie realistisch die Profis die Situation einschätzen. Der Fußball in Deutschland ist in diesen Tagen in erster Linie Kahn, Matthäus und Jeremies. Das ist eine Botschaft, die manchen verzweifeln lassen wird. Einen nicht: Erich Ribbeck, den DFB-Teamchef. Der hat das längst zum Prinzip erklärt. Peter Unfried
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