„Prepper“ in den USA: Hamsterkäufe gegen die Apokalypse
Fluchtwege planen, Knoten knüpfen, eindosen üben: In den USA bereiten sich schätzungsweise 4 Millionen Prepper auf den Weltuntergang vor.
NEW YORK taz | Jason Charles trägt seine Waffe immer bei sich. Die Pistole zeigt sich als Tattoo bei jedem Handschlag auf der gesamten Länge von Charles’ rechtem Unterarm. Die Mündung ist auf das Gegenüber gerichtet.
Charles würde sich mit einer Waffe in der Hand noch sicherer fühlen. Aber die Gesetze über Handfeuerwaffen in New York City sind restriktiv, und eine Lizenz für ein Gewehr ist für Charles zu teuer. Aber auch ohne Waffe ist der 35-Jährige vorbereitet. Auf alles. Der Plan B in Bezug auf Verteidigung sind Messer und ein Schwert. Das Leben von Jason Charles ist voll von Plänen.
Er ist ein „Prepper“, er bereitet sich vor. Auf die Apokalypse. Auf die Zeit, wenn, wie Charles es formuliert, „the shit hits the fan“. Wenn die Kacke am Dampfen ist – wie immer das aussehen mag.
Früher glaubte Charles an den Zusammenbruch der Infrastruktur infolge eines elektromagnetischen Impulses nach einer Atombombenexplosion. Heute ist er flexibler. „Ich bin auf alles vorbereitet“, sagt Charles, verschränkt die muskelbepackten Oberarme und verschmilzt in seinem schwarzen T-Shirt und dem schwarzen Baseball-Cap mit seinem riesigen schwarzen Pick-up.
Furcht als Antrieb
Der Feuerwehrmann hat in einem Gemeinschaftsraum einer Kirche in Washington Heights, weit oben im Norden Manhattans, kurz zuvor zwei Stunden über Brandschutzmaßnahmen gesprochen. Elf Leute haben ihm zugehört, Prepper wie er selbst. Die Bewegung leitet ihren Namen vom englischen Verb „to prepare“ ab, sich vorbereiten.
Den Zusammenbruch der Wirtschaft, Tornados, Erdbeben, ungünstige Sternenkonstellationen, Terrorangriffe: jeder Prepper hat seine eigene Furcht, die ihn antreibt. Eins haben sie alle gemein: die Überzeugung, nur überleben zu können, wenn sie vorbereitet sind. Verlass dich auf niemanden, vor allem nicht auf die Regierung.
Bernie, beige Shorts, gestreiftes Poloshirt, weiße Tennissocken in weißen Turnschuhen, ist der klassische Mittelklasse-Amerikaner. Halbglatze, verheiratet, einer der Tausenden, die in einem der Bürotürme in der Stadt arbeiten. Er kennt die Fluchtwege in seinem Gebäude genau, zu Hause sowieso. Er preppt seit den Terroranschlägen vom 11. September 2001. „Und jetzt, wo meine Frau und ich auch noch Zwillinge haben …“ Er vollendet den Satz nicht. Er erzählt nur, wie er sich mit seiner Frau stets streitet, wenn sie den Feuerlöscher mal wieder an einen anderen Platz gestellt hat. Organisation ist alles. Und Information. Dafür ist Charles zuständig. Er hat die Organisation der New Yorker Preppergruppe im Juni übernommen.
Best laid plans…
Seitdem organisiert er Treffen zu allen möglichen Themen: Feuerschutz, Knotenknüpfen, Fluchtwege aus der Stadt, Eindosen. Wer überleben will, braucht Lebensmittel und muss wissen, wie man sie konserviert. Charles hat in seinem Apartment in Harlem Vorräte gehortet, um mit seiner Frau und zwei Kindern 18 Monate lang überleben zu können.
Gerade wurde er etwas zurückgeworfen. Durch eine Maus, die sich durch Reis und Astronautennahrung gefressen hatte. „Ich musste eine Menge wegschmeißen.“ Ein kleines Tier außerhalb seiner Kontrolle, das ärgert ihn. Charles preppt seit drei Jahren ernsthaft, doch schon in seiner Kindheit habe er immer kleine Survivaltaschen gepackt, sagt er. Wegen der vielen Feuer, die es in den 80ern in New York gegeben habe.
Zwei, besser drei Fluchtwege sind für den Fall der Fälle gut. Die New Yorker Prepper haben für Charles den Grundriss ihrer Wohnungen aufgezeichnet, Fluchtwege markiert, den Feuerlöscher eingezeichnet, die gepackten Fluchttaschen aufgemalt. Wer im 25. Stock wohnt, bleibt erst mal in seiner Wohnung. Im Zweifel im Badezimmer. „Atmet durch den Ausguss eurer Badewannen, die Luft mag nicht gut sein, aber es ist immer noch Luft“, erklärt Charles.
Elf Zuhörer mit ernsten Minen nicken. Alfredo, Tourguide im Empire State Building, und seine Frau haben zwei Kinder. In welcher Reihenfolge sollen sie aus der Wohnung fliehen? Das Jüngste hinter dem Vater oder vor der Mutter? Was, wenn man sich verliert? Charles hat auf alles eine Antwort, er wirkt ruhig, entspannt, gar nicht so paranoid, man vergisst kurz das Schwert und auch die Wohnung voller Dosen.
Bis zu 4 Millionen Prepper
Die Prepper-Bewegung in den USA hat vor allem seit den Terroranschlägen von 9/11 starken Zulauf erfahren. Die Prepper folgen jenen, die in den 90ern von der „Y2K“-Panik erfasst waren – der Angst vor dem Weltuntergang zum Jahrtausendwechsel. Die Maya-Prophezeiung, nach der die Welt nun am 21. Dezember 2012 untergehen wird, hat dem American Preppers Network und vielen anderen Gruppierungen weiteren Zulauf gebracht. Wie viele Amerikaner Prepper sind, ist wegen der dezentralen Organisation schwer zu sagen, im Internet ist von bis zu 4 Millionen die Rede.
Die Gruppe in New York treibt nicht so sehr die Angst vor dem Doomsday. 9/11, Hurricane „Katrina“ und die Wirtschaftskrise, das sind die doch sehr realen Szenarien, über die immer wieder gesprochen wird. Drucker Andy möchte sich einfach auf alles und nichts vorbereiten, egal ob sich seine Welt im Dezember, später oder vielleicht auch gar nicht verändert. „Man schließt doch auch Versicherungen ab.“
Verlass dich auf dich selbst, oder du bist verlassen, der Feind sitzt nicht nur in Washington, er ist auch der Nachbar. Vor allem die Plünderungen unter Nachbarn nach der „Katrina“-Katastrophe haben das Totalversagen der Regierung gezeigt, finden die Prepper.
Raus aus der Stadt
Wie man im Ernstfall seine Vorräte vor denen, die nicht vorbereitet sind, schützen kann, ist eine Glaubensfrage. Kein Prepper schreibt dem anderen etwas vor, jeder kann selbst entscheiden, was er tut. „Entweder man verteidigt sich mit Waffen, oder man erweckt den Anschein, nichts zu haben“, sagt Charles. Seine Masse an Vorräten zu verstecken, dürfte eine Herausforderung sein.
Doch teilen ist undenkbar, es reicht nicht für alle, jeder ist auf sich allein gestellt. Am Ende der Welt zählt nur das Wohl der eigenen Familie. Und das liegt für Charles idealerweise nicht in seiner New Yorker Wohnung. Die Astronautennahrung, die Dosen – alles nur Plan B. Plan A ist, es raus aus der Stadt zu schaffen. Dafür hat er, wie alle Prepper, eine „Bug-out-Bag“, eine Überlebenstasche. Sie ist immer an der Eingangstür der Wohnung platziert und enthält alles Lebensnotwendige: Essen, Wasser, ein Zelt, Taschenlampen, Bargeld, Erste-Hilfe-Set. Im besten Fall kommen Prepper damit fünf bis sieben Tage durch.
Charles Tasche wiegt gut 36 Kilogramm. Wohin er sich damit und mit seiner Familie durchschlägt, lässt er offen. Er hat diverse Routen ausgearbeitet – in die Wälder im Norden, Richtung Westküste. Charles hat Familie und Kontakt zu anderen Preppern, die ihn aufnehmen, sollte New York keine Option mehr sein.
Wann das passiert, weiß Charles nicht. Vielleicht passiert es auch nie. „Aber dann hast du halt Sachen.“ Er rät seiner Gruppe jedenfalls, weiter Vorräte aufzustocken. Denn Gas- und Lebensmittelpreise steigen, die Wirtschaft, davon sind eigentlich alle hier überzeugt, wird sowieso zusammenbrechen. Dann noch ein ganz praktischer Tipp: „Genießt Fleisch, solange ihr könnt, denn wenn ihr nicht pökeln und konservieren könnt, ist es nichts mehr wert.“
Jason Charles muss nach Hause, die Vorräte kontrollieren und die Maus im Blick behalten. Als er in seinen Pick-up steigt, dreht er sich noch mal um: „Sei vorsichtig.“
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