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Premiere im Leipziger SchauspielBarbarei in Mintgrün

Armin Petras verschränkt auf der Bühne: Falladas „Jeder stirbt für sich allein“ und die Jugend­opposition der Leipziger Meuten. Nazi-Hipster gibt es dazu.

Prügelszene auf der Bühne des Schauspiel Leipzig Foto: Rolf Arnold

Zunächst sieht nichts auf der Bühne nach Nazis aus. Drei Stockwerke sozialer Wohnungsbau aus den 1970er Jahren und daran klebende Plakate in Babyblau, Mint oder Zartrosa lassen anderes erahnen. Die schnell aus dem Bühnenhintergrund auftauchenden Jugendlichen in kurzen schwarzen Hosen, Wollpullis, mit roten Halstüchern und markanten grünen Markierungen im Gesicht, die sich an den Plakaten vergreifen, um dann wieder zu verschwinden, verbreiten Hipster-Gang-Charme.

Bühnenbildnerin Susanne Schuboth und Kostümbildnerin Karoline Bierner führen die Zuschauer mit Vehemenz aus den dunklen Berliner und Leipziger Hinterhöfen der Arbeiterklasse in den 1930er und 40er Jahren, die den Hintergrund für die Bühnenhandlung bilden. Selbst die Hitlerjugend tritt in trendigen weißen Outfits auf, die Identitäre Bewegung lässt grüßen: Hashtag statt Hakenkreuz.

„Jeder stirbt für sich allein / Die Leipziger Meuten“, das am Freitag im Schauspiel Leipzig zur Premiere kam, ist die neueste Arbeit von Regisseur Armin Petras. Er führt die zwei titel­gebenden Formen der Nazi-Opposition theatral zusammen: die literarische Vorlage von Hans Fallada über das Ehepaar Quangel, das nach dem Tod des Sohnes an der französischen Front beginnt mit Postkarten gegen das Regime aufzubegehren, und eben die Leipziger Jugend­cliquen, die in der Tradition der Wandervogelbewegung stehend kein’ Bock auf Hitlerjugend hatten. Beide Stränge enden tragisch: Das Ehepaar landet unter dem Fallbeil, die Meutenmitglieder in Gefängnis und Konzentrationslager.

Über drei Stunden hat Petras für die beiden Geschichten und Milieus veranschlagt. Anders als noch Luk Perceval, der 2012 bei seinem vierstündigen Fallada am Thalia Theater ganz auf Reduktion gesetzt hat, lässt Petras es krachen: Mit Videoprojektionen, Drehbühneneinsätzen und klassischem Schauspiel. Herausragend dabei ist Julischka Eichel, die als Anna Quangel alle Medien souverän bespielt und das spielerische Kraftzentrum der Inszenierung bildet.

Eine vom Leben verwundete Mutter voll existenzialistischer Verzweiflung und dem unbändigem Willen zum richtigen Leben im falschen, die zusammen mit ihren Mann in kleinen Taten dem Großen die Stirn bietet. Wenzel Banneyer gibt dazu den überkorrekten und maximal unauffälligen Otto Quangel, und auch Bettina Schmidt, erst als alte Jüdin, die unter die Räder kommt, und später als Zoohandelsbesitzerin, ist ein wahrer Vulkan der totalitären Beklemmung in dieser pink-bunten Naziwelt.

Ohne Tiefe und Reibung

Deutlich hinter den Erwartungen zurück bleibt hingegen der Meuten-Strang. Parallel zu den Romanszenen gibt es immer wieder Einschübe, in denen die Mitglieder der Jugendbewegung gezeigt werden. Doch sosehr sich die Inszenierung an historisch korrekte Szenarien hält – von der Prügelei mit der HJ bis zum Abreißen von Plakaten –, so gelingt den Schauspielstudenten des Leipziger Studios mit großen Verbrüderungsgesten und viel Geschrei nur eine sehr klischeebelastete Jugendlichendarstellung ohne Tiefe und Reibung.

Die Hitlerjugend in trendigen weißen Outfits, die Identitäre Bewegung lässt grüßen

Die Regie verweigert konsequente Personenführung und lässt die sieben Schauspielstudenten ungebremst ­gegen die Wand spielen. Dem Phänomen Meuten mit all ihrer Tragik, ihrem verzweifelten Mut und ihrer Chuzpe wird das kaum gerecht.

Das Fragwürdigste des Abends aber ist die Darstellung der Kriminalpolizei. Oberkommissar Escherich (gespielt von Felix Axel Preißler) ist ein geradezu widerständiger Beamter, der noch im größten Nazi-Sumpf der Herrschaft des Rechts Geltung verschaffen will. Ein General Harras der Kripo. Sicher, bei Fallada kann man dies so finden, aber es spiegelt doch einen Debattenstand aus den 1950er Jahren wider, der heute entweder als unvorsichtig naiv oder schlicht reaktionär gewertet werden muss.

Insgesamt ein ebenso langer wie durchwachsener Abend, der mit nur wenigen Glanzpunkten aufwarten kann. Und es ist nach Johannes Herwigs Roman „Bis die Sterne zittern“ von 2017 bereits der zweite gescheiterte Versuch, das Phänomen der Leipziger Meuten künstlerisch zu greifen. Hier wartet ein Schatz immer noch seiner Bergung.

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