piwik no script img

Preisverleihung "Rückblende 2008"Die Nacht der komischen Bilder

Die "Rückblende" ist der höchstdotierte Preis für politische Fotografie und Karikatur in Deutschland und feiert in diesem Jahr ihr 25. Jubiläum. Auch der taz-Zeichner Ari Plikat wurde für 2008 geehrt.

1. Preis Karikatur (Der Karikaturenpreis der deutschen Zeitungen): Ioan Cozacu. Bild: Ioan Cozacu

Auf den ersten Blick wirkt er mit seinem akkurat gestutzten Silberhaar und -bart wie eine Mischung aus einem Sportmoderator und dem Vorsitzenden eines Versicherungsunternehmens. Dr. Karl-Heinz Klär ist "Bevollmächtigter des Landes Rheinland-Pfalz beim Bund und für Europa", und dieser hochoffizielle Titel klingt nach vielen langweiligen Sitzungen in Mainz, Brüssel und Berlin, für die der rheinland-pfälzische Staatssekretär offenbar einen Ausgleich braucht. Deshalb ist der Sozialdemokrat Klär im Nebenfach Spiritus Rector der "Rückblende", die sich mittlerweile zum bedeutendsten und höchstdotierten Preis für politische Fotografie und Karikatur in Deutschland entwickelt hat. Und "Spiritus Rector" darf in diesem Fall durchaus als "führender Weingeist" übersetzt werden. Schließlich ist Rheinland-Pfalz ein Weinland, und Klär versteht sich auch in diesem Bereich als Interessenvertreter.

Die "Rückblende" ist Klärs Baby. Seit 1995 ist er der Herr der komischen Bilder. Ohne den 62-jährigen Silberrücken, der sich mit dem ihm eigenen Witz selbst als einen "in der Politik gestrandeten Intellellen" bezeichnet, würde es den Wettbewerb und die anschließende Wanderausstellung, die in diesem Jahr ihr 25-jähriges Bestehen feiert, nicht geben - zumindest nicht in dieser Form mit ihrem Glanzstück, der jährlichen Preisverleihung, die seit dem Jahr 2000 in der rheinland-pfälzischen Landesvertretung in Berlin stattfindet und bei der sich jedes Jahr fast alle wichtigen deutschen Fotografen und Karikaturisten einfinden. Dann ist wie gestern Abend der große Moment für Klär gekommen, "einmal im Jahr eine anarchistische Rede zu halten", wie er sagt. Das macht einen Reiz der Veranstaltung aus, wenn Dr. Klär mit vom heimatlichen Wein leicht gerötetem Kopf das zurückliegende politische Jahr Revue passieren lässt und mithilfe der ausgewählten Bilder deutet. Dann vergaloppiert er sich mitunter, rudert zurück, entschuldigt sich für seine nicht von allen geteilte Interpretation und freut sich doch zuletzt ganz rührend, wenn viel gelacht wird. Hauptsache, das politische Geschäft, an dem er offensichtlich auch leidet, wird seiner Ernsthaftigkeit beraubt.

Allein in diesem Jahr wurden von der Jury aus 1.300 Fotografien und Karikaturen, 100 Bilder und 50 Zeichnungen ausgewählt, die ab Donnerstag in Berlin und danach in Bonn, Brüssel, Paris, Hamburg, Leipzig, Trier und Mainz zu sehen sein werden. Es ist ein eher gefälliger Überblick, den die Jury zusammengestellt hat. Und das ist das Problem: die Jury. Die Jurymitglieder kommen unter anderem aus dem Bundesverband der Zeitungsverleger, der Bundespressekonferenz und vom Spiegel, was leider eher das Mittelmaß befördert. Denn erstens wird der Verlegerverband nie jemandem wehtun wollen, und zweitens entscheidet ausgerechnet ein Spiegel-Redakteur über komische Zeichnungen, wo doch das für seine Humorlosigkeit berüchtigte Hamburger Nachrichtenmagazin nie Karikaturen veröffentlicht. Allerdings hat man sich 2008 endlich entschlossen, die Vorjahres-Preisträger mit in die Jury aufzunehmen, damit wenigstens etwas Kenntnis und Sachverstand in das Juryurteil einfließen.

Das war spätestens seit dem Jahr 2006 bitter nötig, als der Tiefpunkt erreicht war und eine platte Zeichnung prämiert wurde, die vom Titelblatt einer Presseballeinladung stammte. Dargestellt waren Müntefering und Merkel beim Tanz der großen Koalition. Es gab Proteste von Karikaturisten und Drohungen, nicht mehr an der "Rückblende" teilzunehmen, wenn der Preis zum belanglosen Zierrat verkäme.

Dabei hatte man gerade geglaubt, dass bei der Karikatur die verstaubten Zeiten überwunden waren. Bis in die Neunzigerjahre waren die Zeichner darum bemüht, Politiker so ähnlich wie möglich abzubilden. Das Hauptmittel der Komik war das Wörtlichnehmen von Redewendungen, was dazu führte, dass es in Zeitungen nur so wimmelte von Bildern, auf denen Karren aus dem Dreck gezogen wurden. Auf dem Karren stand dann wahlweise "Europa" oder "Steuerreform".

Wie weit man sich davon wegentwickelt hat, zeigt die Karikatur von Nel, der im wirklichen Leben Ioan Cozaku heißt. Nel, der auch für die taz zeichnet, erhält den mit 5.000 Euro dotierten ersten Preis der "Rückblende 2008" für eine Karikatur in der Thüringischen Landeszeitung: Ein Hütchenspieler erklärt, "wie eine Investmentbank" funktioniert. Ein hauchdünner Strich trifft auf einen klug vereinfachten Witz, mit dem Nel das Thema des Jahres, die Finanzkrise, sauber getroffen hat. Der zweite Preis geht an Ari Plikat, dessen Cartoons regelmäßig die Wahrheit-Seite der taz zieren. Plikat hat das zweite Thema des Jahres, die hessischen Verhältnisse, auf den Punkt gebracht: Andrea Ypsilanti liegt auf der Couch eines Psychiaters und beichtet, was ihr Problem ist: "Ich sehe Stimmen."

Das Hessenthema bringt auch dem dpa-Fotografen Boris Roessler den ersten Preis und 7.000 Euro in der Sparte Fotografie. Roessler hat bei der gespenstischen Pressekonferenz der vier abtrünnigen hessischen Sozialdemokraten seine Kollegen mit abgebildet. Das vertikal zweigeteilte Bild zeigt links die im Blitzlichtgewitter erstarrten Politfiguren und rechts die Kameraleute. Dieses Auge-in-Auge lässt den Betrachter hin- und herpendeln zwischen Grusel und Komik.

Und so ist es den Verantwortlichen der "Rückblende" diesmal gelungen, ein viel schärferes Gesamtbild eines Jahres zusammenzustellen, was auch ein Verdienst des unermüdlichen Karl-Heinz Klär ist, der die "Rückblende" wieder in die richtige Spur gebracht hat. Möge der Staatssekretär für Wein und Komik noch lange sein Unwesen treiben.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!