Preisexplosion bei Lebensmitteln: Wer soll das noch zahlen?
Weizen ist doppelt so teuer wie vor einem Jahr. Auch die Preise für Reis, Soja und Zucker steigen. Frankreichs Präsident Sarkozy fordert Regulierung.
PARIS/BERLIN taz | Die Reichen der G-20-Familie, also der zwanzig wichtigsten Industrie-Schwellenländer, müssen etwas tun. Sonst sind sie für Hungerrevolten verantwortlich. Das ist die Warnung, die der französische Präsident Nicolas Sarkozy schon zuletzt vorausgeschickt hatte - Frankreich hat derzeit den G-20-Vorsitz inne. Jetzt machte er Vorschläge, wie die Märkte für Rohstoffe und Agrarprodukte kontrolliert werden sollen.
Für Sarkozy sind die derzeitigen Preisexplosionen etwa bei Weizen ein Zeichen von "Instabilität", die auch durch Unsicherheit verursacht ist. Deshalb will er mehr Transparenz und ein Informationssystem über weltweite Produktionskapazitäten und Lagerbestände schaffen. Zudem fordert er, Spekulanten zu bremsen, die mit Lebensmitteln handeln und dadurch die Preise rauf und runter gehen lassen.
Brüssel verschiebt Studie
Unterstützer zu finden, ist allerdings nicht so einfach. Denn die EU-Kommission beispielsweise sieht offenbar keinen eindeutigen Zusammenhang zwischen Spekulation und den steigenden Preisen. In einem noch nicht veröffentlichten Bericht der Brüsseler, der der Vorbereitung des französischen G-20-Programms dienen sollte, heißt es, es gebe "wenig Beweise für Preisverzerrungen auf dem Markt der materiellen Güter durch die bedeutende Aktivitätszunahme des Derivate-Markts". Das brachte Sarkozy so in Rage, dass er erklärte: "Für diese Studie, die belegen soll, dass die Spekulation nicht zur einer weltweiten Steigerung der Rohstoffpreise führt, empfehle ich als Veröffentlichungstermin den 1. April!"
Die Attacke zeigte Wirkung: Die EU-Kommission verschob die Präsentation der Studie auf die nächsten Wochen. Und Kommissionssprecher Olivier Bailly erklärte, es bestehe kein Zweifel daran, dass zwischen den beiden Märkten eine Verbindung existiere. Doch seien die neuen Interaktionen weit komplexer. Komplexer als in Paris? Diese Skepsis der EU-Beamten kann Sarkozy nicht brauchen. Schließlich weiß er, dass er es schwer haben wird, den USA und anderen G-20-Kollegen seine Vorschläge schmackhaft zu machen.
Also zieht er es vor, mit einfachen Zahlen zu argumentieren: In einem Jahr ist der Preis für Weizen um rund 100 Prozent gestiegen, jener von Mais um fast 80 Prozent. Sarkozy verweist auf einen Händler, der sich 15 Prozent des in der Welt verfügbaren Kakaos unter den Nagel riss.
Bei diesen Fakten kann auch die deutsche Bundesregierung mitgehen. "Die Lebensmittelpreise werden langfristig steigen", erklärte CSU-Bundesagrarministerin Ilse Aigner der taz. Die Weltbevölkerung nimmt zu. Immer mehr Menschen müssten versorgt werden. Zugleich führten Dürren und Überschwemmungen zu Missernten. So würden die Agrarrohstoffe knapp und teurer.
Missernten und Ausschläge
Und die Lebensmittelspekulanten? Diese sorgten "vermutlich für die Ausschläge". Um diesen Trend zu stoppen, müsse klar werden, "wer investiert und wie viel Ware im Umlauf ist". Auch sei denkbar, bei "kurzfristigen Preissprüngen den Handel auszusetzen" oder "Preislimits festzulegen". Dafür gebe es auch ein Beispiel: die Börse in Chicago. Sie hält fest, ob ein Finanzinvestor oder ein Agrarhändler agiert. Sie veröffentlicht nicht nur einmal im Jahr, sondern laufend, wie sich die Preise etwa für Weizen entwickeln. Und sie begrenzt Preise und die Zahl der Kontrakte, die ein Händler abschließen darf.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Kampf gegen die Klimakrise
Eine Hoffnung, die nicht glitzert
Müntefering und die K-Frage bei der SPD
Pistorius statt Scholz!
Krieg in der Ukraine
Biden erlaubt Raketenangriffe mit größerer Reichweite
Zweite Woche der UN-Klimakonferenz
Habeck wirbt für den weltweiten Ausbau des Emissionshandels
Rentner beleidigt Habeck
Beleidigung hat Grenzen
Haldenwang über Wechsel in die Politik
„Ich habe mir nichts vorzuwerfen“