Preis für Fußballclub Roter Stern Leipzig: Die Zecken, die zurückkicken
Ein ausgezeichneter Sportverein: Der Club Roter Stern Leipzig wurde am Dienstag vom Deutschen Fußballbund geehrt - für sein Engagement gegen Rechtsradikale.
![](https://taz.de/picture/298212/14/rsl_f.20100907-17.jpg)
Lutz Battke und Sophia Bormann haben nicht viel miteinander zu tun. Um genau zu sein: Der Jugendtrainer aus Laucha, der für die NPD im Kreistag sitzt, und die Vorsitzende des alternativen Breitensportvereins Roter Stern Leipzig sind sich noch nie begegnet. Es würde wohl auch nicht lange gut gehen, wenn sich die beiden kennen lernen würden.
Als Trainer der Nachwuchs-Elf des BSC 99 Laucha soll Battke vor Zeugen gesagt haben, dass "Schwarze" für ihn "keine Menschen" seien. Das berichtet Sachsen-Anhalts Innenstaatssekretär Rüdiger Erben (SPD). Im Ministerium ist man alarmiert, seit vor Ort ein israelischer Jugendlicher als "Judenschwein" beschimpft und verprügelt wurde - von einem 20-Jährigen, der lange Jahre von Battke trainiert worden war. Klaus Wege, Präsident des BSC 99, sah allerdings weiterhin keinen Grund, sich von einer "Stütze des Vereins" zu trennen. Irgendwann musste er es dann doch tun - der öffentliche Druck war zu stark geworden.
Das hat wiederum sehr viel mit Sophia Bormann und den anderen 399 Mitgliedern von Roter Stern Leipzig (RSL) zu tun. Wenn heute über den Alltagsrassismus und die "NPD-Mentalität" (RSL-Geschäftsführer Adam Bednarsky) in der Fußballprovinz gesprochen wird, liegt das nicht zuletzt daran, dass die Mitglieder des RSL den immer wieder am eigenen Leibe erfahren und ihre Erlebnisse publik gemacht haben. Ihr Klub ist im Sommer 2009 in die Bezirksklasse, Staffel 2, aufgestiegen. Das bedeutet Fahrten ins Leipziger Umland. Zu den meisten Auswärtsspielen des RSL kommen 10 bis 15 Neonazis - um den "Zecken" zu zeigen, wer vor Ort das Sagen hat.
Im Oktober 2009 waren es noch mehr. Im nordsächsischen Örtchen Brandis wurden Fans, Spieler und Offizielle des RSL von etwa 50 Neonazis überfallen. Seither wissen auch viele Fußballfans, die sich sonst nur für das Geschehen in den Erstligaarenen interessieren, dass es Gegenden gibt, in denen der rechte Lifestyle der einzig verbliebene ist. Es sind häufig die Gegenden, in denen Vereinsvorsitzende so tun, als sei ein rechtsradikales Weltbild reine Privatsache wie die Wahl der Automarke oder des Aftershaves. Weil aber nicht Autonarren, sondern Rassisten KZs bauen, hat der DFB den "Roten Stern" gestern in Köln mit dem zweiten Platz des "Julius-Hirsch-Preises" ausgezeichnet. "Das war schon eine freudige Überraschung", berichtet Bormann, die nun hofft, "dass sich durch die Auszeichnung auch Vereine unseren Argumenten öffnen, die uns bislang abgelehnt haben".
Seit 2005 verleiht der Verband den Preis zum Gedenken an den jüdischen Nationalspieler vom Karlsruher FV, der 1943 nach Auschwitz deportiert und dort ermordet wurde. Der SV 06 Lehrte, ein Club aus dem Hannoveraner Umland, wurde für sein vorbildliches multikulturelles Engagement mit dem ersten Platz ausgezeichnet.
Offiziell, so heißt es auf der DFB-Homepage, hat sich der RSL den zweiten Platz verdient, "weil er respektvoll und verantwortlich versucht, Zeichen gegen jegliche Art von Diskriminierung zu setzen". Der eigentliche Grund dürfte ein anderer sein: Der Rote Stern ist am Wochenende dort, wo keine Überwachungskameras stehen. Und er sieht keinen Grund zu verschweigen, was ihm dort widerfährt. Damit hat er einer Öffentlichkeit die Augen geöffnet, die sich zunehmend daran gewöhnt, nur das als Realität wahrzunehmen, was auf dem Bildschirm stattfindet. Jahrzehntelang war das auch die einzige Perspektive, die den DFB interessiert hat. Die Zeiten haben sich glücklicherweise geändert.
Zumindest in Frankfurt am Main. In Laucha wird es wohl noch eine Weile dauern, bis Selbstverständliches selbstverständlich wird. Am Wochenende durfte der suspendierte Trainer Battke als Schiedsrichter ein F-Jugendspiel leiten. Im Innenministerium und beim Landessportbund wertet man das als Provokation und will den Druck auf den Verein erhöhen. Bormann begrüßt das: "Es passiert in den unteren Ligen leider noch zu oft, dass bekennende Neonazis geachtete Vereinsmitglieder sind."
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Tabubruch der CDU
Einst eine Partei mit Werten
Trump und die Ukraine
Europa hat die Ukraine verraten
Social-Media-Star im Bundestagswahlkampf
Wie ein Phoenix aus der roten Asche
Gerhart Baum ist tot
Die FDP verliert ihr sozialliberales Gewissen
80 Jahre nach der Bombardierung
Neonazidemo läuft durch Dresden
Mitarbeiter des Monats
Wenn’s gut werden muss