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Präzise Vivisektion der mentalen Apokalypse

■ Nichts zu hoffen, nichts mehr zu verzweifeln: PRO ZORn zeigt Becketts Endspiel im TiK

Nach Samuel Beckett gibt es keinen Stillstand. Selbst wenn die Weltbevölkerung auf vier Personen zusammenschrumpfte, die auf nichts mehr hoffen und über nichts mehr verzweifeln könnten, ginge immer noch irgendetwas seinen Gang.

Die vier letzten Menschen sind bekannt als Hamm, Clov, Nell und Nag und treten in Becketts Stück Endspiel auf. Gefangen in einem engen Raum, verstrickt in vielfache, wechselseitige Abhängigkeiten, blind, lahm und dement – ein schlimmeres Los ist kaum vorstellbar, und doch leben die vier weiter, solange die Beruhigungsmittel und der Brei aus dem Speiseschrank reichen. Oder noch länger, wenn nichts dazwischenkommt.

Auch 40 Jahre nach der Uraufführung fasziniert die präzise Vivisektion einer mentalen Apokalypse. Wieso? Weil der Autor das Thema abstrahiert habe, bis er einen universellen Punkt traf, meint Branko Simic. Als Regisseur und Teammitglied gehört er der freien Theatergruppe PRO ZORn an, die mit Endspiel ihre vierte Produktion vorstellt. Der erwähnte universelle Punkt liegt exakt bei Null: wo alle Illusionen zerstört und alle Wertsysteme außer Kraft gesetzt sind. In einen solchen Zustand können Menschen in Extremsituationen geraten, etwa in Kriegszeiten, sagt Simic, der an der Akademie von Sarajewo ausgebildet wurde, seit 1992 in Hamburg lebt und Schauspieltheaterregie studiert. Aber eben nicht nur, und deswegen ist sein Endspiel auch kein Stück über den Krieg in Bosnien oder anderswo. Der Konflikt zwischen dem Individuum und einer als übermächtig und bedrohlich empfundenen Außenwelt bedürfe keiner oberflächlichen Aktualisierung.

Auch sei es unnötig und unsinnig, die Form des Stückes um einer krampfhaften Originalität willen zu zerstören oder es mit Effekten zu überfrachten. PRO ZORn hat das Drama daher nur eingerahmt: Ratko Danilovic und Adnan Softic werden die Aufführung mit Schlagzeug und E-Gitarre begleiten, und Nell und Nag müssen anstatt in Mülleimern auf Videomonitoren ihr beinloses Dasein fristen. Im Zentrum steht unangefochten die Schauspielarbeit. Oliver Kraushaar und Sigi Terpoorten werden als Hamm und Clov live und als Nell und Nag in Konservenform Becketts Botschaft verkünden: „Wo willst du hin? Du bist auf der Erde. Dagegen gibt es kein Mittel.“

Barbora Paluskova

Donnerstag, 4. , und Freitag, 5. Juni, 21 Uhr, TiK

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