: Präzedenzfall Äthiopien
■ Die deutsche Luftwaffe hat Erfahrung mit Versorgungsflügen in Krisengebieten
Hamburg (dpa) – Der Plan der USA, die abgeschnittene Bevölkerung im verschneiten Bergland Bosniens aus der Luft zu versorgen, stellt Piloten und Logistiker vor ungeahnte Probleme. Erstens droht Beschuß von serbischen Einheiten, die nicht zu kontrollieren sind, und Flak-Abwehr, die mindestens 1.500 Meter hoch reicht. Und zweitens läßt das gebirgige Gelände keinerlei Tiefflüge mit herkömmlichen Flugzeugen zu – ausgenommen Hubschrauber. Deshalb steht es auch für die deutschen Transall-Piloten der Luftwaffe außer Frage, daß Tiefflüge in Bosnien generell auszuschließen sind. Ob es überhaupt zum Einsatz deutscher Flugzeuge kommen kann, sei im übrigen „ausschließlich eine politische Entscheidung“.
Tatsächlich haben sich die deutschen Lufttransport-Geschwader, vornehmlich Piloten der Geschwader 61 aus Landsberg und 62 aus Wunstorf mit ihren Transall C-160, gemeinsam mit britischen Hercules-C-130-Fliegern, 1985 bleibende Erfahrungen bei der Versorgung der 200.000 Einwohner der Shoa- Provinz Äthiopiens erworben. Die damalige Forderung der UNO, mindestens 80 Prozent der Getreidesäcke müßten unversehrt bleiben, konnte nach dem tagelangen Abwurf von Probe-Paletten in Addis Abeba erfüllt werden: Im Tiefflug wurden die unzugänglichen, in über 2.000 Meter Höhe gelegenen Abwurfplätze in Shoa mit nur 120 Knoten Geschwindigkeit und auf 20 Grad gestellten Flügelklappen angeflogen und dann die Lebensmittel aus maximal fünf Metern Höhe abgeworfen. „Manchmal flogen wir sogar nur zwei bis drei Meter hoch“, erinnerte sich der Bremer Luftfahrtfotograf Dietmar Plath.
Die Sowjets, die sich ursprünglich beteiligt hatten, mußten aus der Hilfsaktion in Äthiopien aussteigen, weil sie mit ihren Helikoptern technische Probleme bekamen. Für sie sprangen polnische Piloten ein. 5.900 Tonnen dringend benötigte Nahrungsmittel wurden damals aus niedrigsten Höhen auf einem Hochplateau 100 Meilen nördlich von Addis Abeba abgeworfen. Manche Säcke zerplatzten zwar auf dem von der Sonne verbranntem Boden, doch die meisten blieben heil.
Das Erstaunliche: Die angeblich dem Hungertod nahen Äthiopier brachten die Lebensmittel blitzschnell in die weit verstreut liegenden Dörfer. Niemand konnte aus der Luft verfolgen, wo das Getreide blieb oder wo die vor dem Verhungern zu rettenden Menschen lebten.
Doch was in dieser Form vor knapp acht Jahren zur erfolgreichen Hilfeleistung wurde, ist in Bosnien unmöglich. Da alle Transportbehälter bei normalem Abwurf aus größeren Höhen zerplatzen, bleibt wahrscheinlich nur der Abwurf mit Hilfe von Transportfallschirmen übrig – doch dürften diese kilometerweit abgetrieben werden. Die Gefahr, daß sie mehrheitlich bei den serbischen Belagerern landen, ist unter diesen Umständen sehr groß.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen