Präventivhaft in Berlin: Realitätsabgleich für Populismus
Wegen der Letzten Generation will der Senat die Präventivhaft auf 5 Tage ausweiten. Eine valide Datengrundlage gibt es dafür nicht, zeigt eine Grünen-Anfrage.
Demnach ist unklar, wie häufig in den letzten 3 Jahren überhaupt ein Unterbindungsgewahrsam verhängt wurde, „um unmittelbar bevorstehende Begehung oder Fortsetzung einer Ordnungswidrigkeit von erheblicher Bedeutung für die Allgemeinheit oder einer Straftat zu verhindern“, wie es im Polizeigesetz heißt. Dazu gibt es keine statistische Erhebung in der Polizei, wie es in der Antwort von Staatssekretär Christian Hochgrebe heißt.
Zahlen gibt es lediglich zum Gewahrsam allgemein im Regelbetrieb – und hier ist sogar ein Rückgang zu verzeichnen: Gab es 2020 noch 668 Gewahrsamnahmen, waren es 2021 und 2022 jeweils nur rund 500 und im aktuellen Jahr bis Anfang Juni unterdurchschnittliche 152. Nur in einem Bruchteil der Fälle erfolgten richterliche Vorführungen, die auch in ein Anschlussgewahrsam (eventuell wegen U-Haft bei schwereren Straftaten, Fluchtgefahr oder eben Präventivhaft) mündeten: 44 richterliche Vorführungen gab es 2020, von denen 42 in einem Anschlussgewahrsam mündeten, 2021 landeten 43 Personen vor dem Haftrichter, 2022 waren es 31 und 2023 bisher nur 8.
Rausgerechnet hat der Senat offenbar die Zahlen eine „Besonderen Aufbauorganisation“, die möglicherweise mittlerweile für die Klima-Aktivist*innen zuständig ist. Im Blockadezeitraum von April bis Mai 2023 hatte die Innenverwaltung von 60 Gewahrsamnahmen gesprochen, von denen 11 richterlich bestätigt wurden. Eine Haftdauer länger als neun Stunden gab es lediglich drei Mal.
Kein Handlungsbedarf
Die Forderung nach der Ausweitung von Präventivhaft war vor allem angeheizt durch die bundesweite Debatte um die Blockaden der Letzten Generation. Vor allem Innensenatorin Spranger pocht aber darauf, dass die Ausweitung nicht nur deswegen kommen soll – zuletzt führte sie im Innenausschuss etwa Terrorismus und häusliche Gewalt an, die längere Präventivhaft erforderten. Aber auch dazu gibt es keine Zahlen: „Die Aussage der Senatorin war rein exemplarisch und beruhte auf Erfahrungswerten in der Polizei“, heißt es.
In Summe wertet Franco das so: „Die geplante Ausweitung des Präventivgewahrsams in Berlin ist getrieben von Populismus. Schwarz-Rot will ohne faktische Grundlage eine Verschärfung des Berliner Polizeigesetzes durchdrücken“, sagte er der taz. Senatorin Spranger ließe sich von rechtspopulistischen Debatten treiben, weil die Statistiken keinerlei Handlungsbedarf zeigten. „Es ist erschreckend, dass man bereit ist, derart tiefe Grundrechtseingriffe aus Profilierungsgründen zu fordern.“
Der Senat wolle suggerieren, dass man ein wirksames Mittel gegen Proteste hätte, um das Bedürfnis nach Vergeltung zu befriedigen, das in Teilen der Bevölkerung existiere, so Franco: „Wenn Iris Spranger nun versucht, Opfer von häuslicher Gewalt für ihre Law-and-Order-Vorhaben zu instrumentalisieren, ist das mehr als schäbig.“ Zuletzt eckte Spranger auch in der SPD an, die sogar einen Parteitagsbeschluss gegen die Ausweitung der Präventivhaft fasste. Die Innensenatorin sieht sich daran allerdings nicht gebunden, weil der SPD-Mitgliederentscheid für den Koalitionsvertrag gestimmt habe, in dem die Ausweitung der Präventivhaft vereinbart ist.
Ob eine Straßenblocke überhaupt ein Präventivgewahrsam rechtfertigt, ist ebenso strittig wie überhaupt die Strafbarkeit dieser Protestform des zivilen Ungehorsams: Tatsächlich werten verschiedene Richter*innen die Aktionen der Letzten Generation grundsätzlich verschieden. Während vergangene Woche ein Aktivist freigesprochen wurde, gab es am Montag in Berlin eine Haftstrafe ohne Bewährung.
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