Präsidentschaftswahl in Haiti: Entscheidung im Hinterzimmer
Die Stichwahl für die Präsidentschaft ist auf unbestimmte Zeit verschoben worden. Vieles deutet darauf hin, dass das Ergebnis vorher schon feststeht.
Zum ersten Wahlgang am 25. Oktober waren 54 Kandidatinnen und Kandidaten angetreten. Zwei Wochen später gab der provisorische Wahlrat ein vorläufiges Ergebnis bekannt. Danach seien Jovenel Moïse mit 32,8 Prozent der Stimmen auf dem ersten und Jude Célestin mit 25,3 Prozent auf dem zweiten Platz gelandet und somit in der Stichwahl.
Moïse, ein bislang politisch inaktiver 47-jähriger Agrarunternehmer mit dem Spitznamen „Nèg Bannan“ (Bananenmann), war von Präsident Martelly zum Kandidaten seiner Partei bestimmt worden. Die heißt im haitianischen Kreol „Tèt kale“ (Glatzkopf), weil Martelly seinen Schädel kahl rasiert.
Der Präsident und sein Ziehsohn pflegen freundschaftliche Beziehungen zu den Köpfen der rechten Todesschwadrone der 1990er Jahre. Der eher links orientierte 53-jährige Célestin, der für die „Alternative Liga für Entwicklung und Emanzipation in Haiti“ antritt, war unter Expräsident René Préval Chef der staatlichen Baufirma und hat als solcher ein paar tausend Arbeitsplätze im Straßen- und Wohnungsbau geschaffen.
Ein ungewöhnliches Ergebnis
Schon bei der Wahl 2010 hatte Célestin in der ersten Runde den zweiten Platz belegt, durfte aber trotzdem nicht an der Stichwahl teilnehmen. Knapp hinter ihm lag damals Martelly. Der schrie „Betrug!“ und schickte seine Anhänger zu gewaltsamen Demonstrationen auf die Straße.
Die Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) und die damalige US-Außenministerin Hillary Clinton intervenierten. Sie setzten durch, dass ein Teil der Wahlurnen noch einmal ausgezählt wurden. Danach wurde zwar kein neues Ergebnis bekannt, aber trotzdem wurde in Hinterzimmern bestimmt: Nicht Célestin, sondern Martelly nimmt an der Stichwahl teil.
Diesmal sind es Célestin und mit ihm sieben weitere unterlegene Kandidaten, die das Ergebnis der ersten Wahlrunde wegen „massiven Betrugs“ nicht anerkennen. Tatsächlich kam es auf ungewöhnliche Art zustande: Nach offiziellen Angaben haben 1,5 Millionen Menschen gewählt. 900.000 von ihnen aber waren vom als US-hörig geltenden Wahlrat als Helfer oder Beobachter angestellt.
Sie haben den Urnengang entschieden und Martellys vorher unbekannten Kandidaten zum Favoriten gemacht. Mit dem neoliberalen Präsidenten hatten die USA trotz massiver Korruptionsvorwürfe gut zusammengearbeitet. Sollte sein handverlesener Nachfolger gewinnen, könnte dies als „Zeichen der Stabilität“ in einem unruhigen Land verkauft werden.
Die meisten Haitianer sind mit dem Überleben beschäftigt
Célestin hat den Wahlkampf eingestellt und fordert eine Wiederholung der ersten Runde – Grund für die Verschiebung des zweiten Urnengangs. Zunächst soll ein vom Präsidenten eingesetztes Gremium das Ergebnis des ersten Wahlgangs überprüfen. Célestin konnte das nicht besänftigen. In der Überprüfungskommission, sagt er, säßen nur Handlanger des Präsidenten und seines Kandidaten.
Die Probleme der Bevölkerung spielen bei dem Gezänk keine Rolle: Im Land grassiert die von UN-Blauhelmen eingeschleppte Cholera; sechs Jahre nach dem Erdbeben in der Hauptstadtregion leben noch immer rund 100.000 Menschen in Zeltstädten; neue provisorische Lager an der Grenze zur Dominikanischen Republik sind dazugekommen, weil die dortige Regierung papierlose haitianische Einwanderer und deren Nachkommen ausweist. Die große Mehrheit der Haitianer ist mit dem Überleben vollauf beschäftigt. Mit Moïse wird ohnehin alles beim Alten bleiben. Célestin hat immerhin ein paar Arbeitsplätze bei staatlichen Bauvorhaben versprochen.
Mit einem Sieg aber rechnet nicht einmal Célestin selbst. Er erwägt vielmehr einen Boykott der Stichwahl. Richard Morse, Martellys Vetter und dessen ehemaliger Sonderbotschafter in Washington, geht davon aus, dass das Ergebnis ohnehin schon feststeht. Über den Kurznachrichtendienst Twitter mutmaßte er: „Wahrscheinlich hat der Wahlrat die Stimmen der Stichwahl schon ausgezählt.“ Deshalb gehen örtliche Zeitungen von einer Beteiligung von kaum mehr als zehn Prozent aus.
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