Pränataltest für Trisomie 21: Unternehmens­freundliche Regelung

Die Debatte über die Folgen der neuen Tests steht noch aus. Der Gemeinsame Bundesausschuss lässt schon Informationen für Schwangere erstellen.

drei Babys liegen in Plastikschalen zugedeckt nebeneinander

Trotz Inklusionsdebatte – Eltern mit behinderten Kindern haben es doppelt schwer Foto: dpa

Der umstrittene nichtinvasive molekulargenetische Pränataltest (NIPT) soll Kassenleistung werden, für Risikoschwangere. Danach sieht das Beratungsverfahren des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) – des obersten Gre­miums der gemein­samen Selbst­ver­wal­tung der Ärzte, Zahn­ärzte, Psycho­the­ra­peuten, Kran­ken­häuser und Kran­ken­kassen – aus.

Bisher wird der Test an Selbstzahlerinnen in gynäkologischen Praxen verkauft. Er ist seit 2012 auf dem deutschen Markt und wird von ver­schiedenen Herstellerfirmen vertrieben. Obwohl der G-BA „Qualität und Wirtschaftlichkeit“ noch prüft, hat das Gremium am 16. Februar vorab entschieden, eine Versicherteninformation über den NIPT in Auftrag zu geben, um Schwangere in einer „selbstbestimmten Entscheidung“ zu „unter­stützen“. Die Frage ist jedoch, worüber sie entscheiden sollen und wer ein Interesse daran hat, dass sie bei dieser Entscheidung unterstützt werden.

Mit dem NIPT kann anhand des Bluts der Frau bereits ab der neunten Schwangerschaftswoche getestet werden, ob das werdende Kind eine Trisomie wie das Downsyndrom hat. Der NIPT eröffnet keinerlei Therapiemöglichkeiten. Auf der Basis des Testergebnisses kann und muss die Frau entscheiden, ob sie die Schwangerschaft abbricht oder fortsetzt. Es geht also nicht darum, ob eine Frau ­überhaupt ein Kind will, sondern darum, ob es dieses Kind sein soll.

So geht es nicht um das Recht auf Selbstbestimmung über den eigenen Körper, das in den 1970ern von der Frauenbewegung gegen Staat und Kirche erkämpft wurde. Kommt der NIPT ins Spiel, ist die Schwangerschaft grundsätzlich gewollt. Es handelt sich viel­mehr um einen Qualitätstest: Frauen entscheiden sich für oder gegen einen Abbruch, weil ihnen das Testergebnis sagt, dass das werdende Kind möglicherweise behindert ist.

Der Test: Derzeit befinden sich mehrere molekulargenetische Tests zur Bestimmung einer Trisomie 21 auf dem Markt. Bei diesen nichtinvasiven Tests wird eine Blutprobe der Schwangeren untersucht. Bei den bisher durchgeführten Fruchtwasseruntersuchungen bestand immer das Risiko einer Fehlgeburt.

Kostenerstattung: Der Test wird bislang nicht von den Krankenkassen bezahlt. Ob das künftig anders sein soll, entscheidet der Gemeinsame Bundesausschuss G-BA. Dazu sollten ursprünglich umfangreiche Erprobungsstudien durchgeführt werden, die Aussagen über Nutzen, Risiko und Wirtschaftlichkeit ermöglichen. Die Beratungen über die Richtlinie zu den Erprobungsstudien ruhen jedoch derzeit beim G-BA.

Information: Vergangene Woche hat der G-BA beschlossen eine"Versicherteninformation" erarbeiten zu lassen (pdf-Datei). Betroffene sollen damit über die in der Pränataldiagnostik eingesetzten Methoden informiert werden. Die Ergebnisse aus den Beratungen über die nicht-invasiven Tests sollen später darin mit aufgenommen werden. (wlf)

Diese Entscheidung wird vor dem Hintergrund gefällt, dass Eltern mit behinderten Kindern nur mangelhaft unterstützt werden und Menschen mit Behinderung nicht gleichberechtigt am gesellschaftlichen Leben teilhaben können; Inklusion ist noch immer mehr Wunsch als Wirklichkeit.

Die Deutsche Gesellschaft für Psychosomatische Geburtshilfe und Gynäkologie (DGPFG) kritisierte in einer Pres­semitteilung 2013 (pdf-Datei) deshalb, dass „ein gesellschaftliches Problem, nämlich der Umgang mit Menschen, die behindert sind oder mit weniger leistungsbezogenen Lebensperspektiven leben, in unsere Arztpraxis verlagert wird“, und stellt fest: „Eine breite Diskussion über Pränataldiagnostik und deren Bedeutung für das Leben in unserer Gesellschaft ist unbedingt nötig und politisch förderungs­würdig!“

Mit dieser Forderung ist sie nicht allein. Der Bundesverband der Frauengesundheits­zentren, der Bundesverband für körper- und mehrfachbehinderte Menschen, die Deutsche Gesellschaft für Hebammenwissenschaft (DGHWi), auch der Berufsverband der Humangenetiker (BVDH), diverse NGOs wie das Gen-ethische Netzwerk (GeN), Bioskop, das Netzwerk gegen Selektion durch Pränataldiagnostik oder das Bundesnetzwerk von FrauenLesben und Mädchen mit Beeinträchtigung, gefolgt von einzelnen Frauengleichberechtigungsstellen, Landesbehindertenbeauftragten und Ethikforen, psychosozialen Beraterinnen zu Schwangerschaft und Pränataldiagnostik und Wohl­fahrtsverbänden, fordern seit der Markteinführung immer wieder eine breite Debatte über die ge­sellschaftspolitischen Konsequenzen des NIPT.

Aktuell erreichte den G-BA eine Stellungnahme von 20 Verbänden und Organisationen (pdf-Datei). Rund 160 Bundestagsabgeordnete verschiedener Fraktionen teilten diese Forderung schon 2015 in einer Kleinen Anfrage an die Bundesregierung. Sogar der G-BA sieht „Fundamentalimplikationen“, und dass mit dem NIPT unsere „Werteordnung“ in Frage gestellt wird.

Bereits letzten August appellierte er an den Gesetzgeber, zu handeln, und forderte am 16. Februar den „Souverän“ erneut dazu auf. Aber jenseits der Kleinen Anfrage herrscht im Parlament Stillstand. Der G-BA folgt nun seinen vom Gesetzgeber vorgegebenen Verfahrens­regeln und will sich darum nicht als „Letztlegitimierer“ verstanden wissen: Wenn genügend Studien vorliegen, die Testgüte und Wirtschaftlichkeit belegen, dürfte das Gremium den NIPT als Kassenleistung letztlich nicht verweigern.

Und so bereitet der G-BA die Ver­sicherteniformation vor. Bevor die Gesellschaft bewerten und entscheiden konnte, ob sie solche Tests will oder nicht, wurde und wird die Entscheidung schon verschoben: Sie wird zu einer individuellen Entscheidung der schwangeren Frau – ob als Konsumentin oder als Versicherte.

So wird eine gesellschaftliche Frage als rein individuelle Frage deklariert und die durchaus noch mögliche Diskussion in diese Richtung verengt. Die Gründe dafür liegen in der Geschichte des NIPT. Sie zeigt, dass die Herstellerfirmen bis heute die Etablierung der Tests bestimmen. Die Voraussetzungen hierfür wurden allerdings von der Politik geschaffen.

Bevor der NIPT auf den deutschen Markt kam, hatten sowohl die Deutsche Forschungsgemeinschaft als auch die EU-Kommission die entsprechende Forschung mit über 12 Millionen Euro be­zuschusst. Die Bundesregierung stellte in Förderprogrammen der Bioökonomie und -technologie rund 1,5 Millionen Euro bereit. In Deutschland wurde auch die Testentwicklung mit öffentlichen Geldern gefördert. Allein die Herstellerfirma LifeCodexx erhielt ab 2009 rund 300.000 Euro.

Finanzielle Förderung

Die Mittel kamen vom Bundes­ministerium für Bildung und Forschung aus einem Förderprogramm für kleinere und mittlere Unter­nehmen und vom Bundesministerium für Wirtschaft und Energie. So wurde aus dem Zentralen Inno­vationsprogramm Mittelstand die „Entwicklung einer nichtinvasiven pränatalen Diagnostik zum Nachweis oder Ausschluss einer Trisomie 21“ finanziert.

Kommt der NIPT ins Spiel,

ist die Schwangerschaft

grund­sätzlich gewollt

Die Bundesregierung förderte somit die For­schung und Entwicklung eines Verfahrens, das keinen therapeutischen Nutzen hat. Dieser sehr entscheidende Schritt in der Entwicklung der neuen Techno­logie war nicht Thema einer gesellschaftlichen Debatte. Er konnte es zum damaligen Zeitpunkt auch nicht sein, denn Zweck und Umfang der Förderung waren nicht transparent. Dass wir heute davon wissen, ist den zähen Nachfragen und Recherchen kritischer Journalist_innen, Abgeordneter und NGOs zu verdanken.

Kurz: Ob diese Art Test auf den Markt kommen sollte, konnte nicht Gegen­stand einer breiten gesellschaftlichen Debatte werden. So wurden mit Produktentwicklung und Markteinführung bereits Fakten geschaffen, ohne dass es zuvor eine gesellschaftliche Reflexion da­rüber gegeben hätte, ob die Gesellschaft den damit eingeschlagenen Weg wirklich gehen will.

Auch in der wichtigen Frage der Kostenübernahme durch die gesetzlichen Krankenkassen ging der Anstoß von den Herstellerfirmen aus. Dass der G-BA darüber berät, ob die Kosten für den NIPT von den Kassen getragen werden, geht maßgeblich auf die Initiative der Firma LifeCodexx zurück. Sie hatte beantragt, den NIPT in das sogenannte Erprobungsverfahren aufzunehmen.

Innovationen schneller etablieren

Diesen Antrag hatte die Firma bereits 2013, also ein Jahr nach Markteinführung des Tests, gestellt. Er wurde 2014 be­willigt. Die Voraussetzung hierfür hat der Gesetzgeber geschaffen. Er hat mit dem Versorgungs­strukturgesetz den Weg geebnet, dass Hersteller von Medizinprodukten überhaupt solch ein Verfahren anstoßen können. Wie es in der Ärztezeitung 2013 prägnant heißt: Die „unternehmens­freundliche Regelung“ ist eine Möglichkeit, „Innovationen schneller in der Regelversorgung zu etab­lieren“.

Die Versicherteninformation ist nur ein weiterer Schritt in der Etablierung des NIPT, die von der Marktdynamik bestimmt wird. Die Voraussetzungen dafür, dass Herstellerfirmen diesen Einfluss haben können, wurden von der Politik geschaffen. Durch die Förderung von Forschung und Ent­wicklung, das Versorgungsstrukturgesetz und die damit verbundene mögliche Kostenübernahme durch die Krankenkassen wurden Fakten geschaffen. Fakten, die eine offene gesellschaftliche Be­wertung des NIPT erschweren, wenn nicht gar verunmöglichen.

Notwendig wäre ein Mora­torium, eine Auszeit sowohl für die Vermarktung der Tests, für die Beratung darüber, ob sie Kassenleistung werden sollen, als auch für die Ausarbeitung einer Versicherteninformation, um zuerst über die gesellschaftlichen Konsequenzen zu diskutieren: Es geht um Solidarität, unser Verständnis von Menschsein, Elternschaft, Schwangerschaft, Selbstbestimmung und ärztlichem Ethos.

Absatzsteigerung

Die „selbstbestimmte Entscheidung“, die schwangere Frauen mittels einer Versicherteninformation treffen sollen, ist das Ergebnis einer Politik, die ihre Prioritäten in der Mittelstandsförderung setzt. Die Interessen liegen auf der Hand: Wird der Test Kassenleistung und steht kostenlos zur Verfügung, steigt der Absatz und maximiert sich der Gewinn. Der Rahmen, in dem schwangere Frauen „selbstbestimmt“ entscheiden, den NIPT anzuwenden, richtet sich nach ökonomischen Interes­sen von Politik und Herstellern.

Diese Selbstbestimmung hat nichts mehr mit dem Selbstbestim­mungsbegriff der 1970er zu tun. Wollten Frauen heute diese Selbstbestimmung zurückhaben, müss­ten sie sich wohl gegen die Mittelstandsförderung von Biotechfirmen ­wehren und für Inklusion eintreten. Denn eine selbstbestimmte Entscheidung setzt eine ernsthafte Politik der Inklusion von Menschen mit Behinderung und die soziale Unter­stützung von Frauen und Eltern voraus.

Schön wäre es, so eine psychosoziale Beraterin, wenn „Frauen, die Kinder mit Behinderung haben, größtmögliche Unterstützung bekommen würden, so dass . . . man dadurch eine andere Entscheidungsgrundlage hätte.“

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ist Politikwissenschaftlerin und forscht in einem Projekt zum nichtinvasiven Pränataltest am Institut Mensch, Ethik und Wissenschaft in Berlin. Darüber hinaus arbeitet sie zu Ethik- und Biomedizinpolitiken, Medizin- und Wissenschaftsgeschichte sowie politikwissenschaftlicher Wissenschafts- und Technologieforschung. Sie ist Autorin des Buchs „Genealogie der Ethikpolitik“.

ist Professorin am Institut für Politikwissenschaft der Universität Wien und Editorin der Zeitschrift Critical Policy Studies. Ihre Arbeitsschwerpunkte sind kritische Biopolitikforschung, politikwissenschaftliche Wissenschafts- und Technologieforschung, Menschenrechte und historische Gerechtigkeit.

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