Prämenstruelle Magnifikation: Macht alles noch schlimmer
Bei PMM verschlimmern sich bereits vorhandene psychische und physische Probleme während der PMS. Doch damit kann man umgehen.
I ch war mal Hypochonderin. Durch eine Verhaltenstherapie sind meine Krankheitsängste allerdings auf ein gesundes Maß geschrumpft. In der Therapie habe ich gelernt, meine Ängste zu betrachten und auf ihre Angemessenheit hin zu überprüfen. Das Resultat dieser Überprüfungen förderte die Erkenntnis zu Tage, dass Krebs oder ein nahender Herzinfarkt in den seltensten Fällen der Grund für körperliche Missempfindungen sind.
Tut mir heutzutage der linke Arm weh, frage ich mich zunächst, ob ich schlecht geschlafen oder mich verhoben habe, bevor ich mein Testament aufsetze. Bei Durchfall oder Verstopfung gehe ich meine Nahrung der letzten Tage durch, anstatt als Notfallpatientin eine proktologische Praxis aufzusuchen.
Schlägt mein Herz mal wieder zu schnell, rufe ich mir ins Gedächtnis, dass ich regelmäßig unauffällige EKGs vorweise. Ich habe tatsächlich gelernt körperliche Missempfindungen (so nannte es mein Therapeut, den ich an dieser Stelle herzlich grüßen möchte) und temporäre physische Beschwerden als das einzuordnen, was sie sind: Erscheinungen, die jeder Körper – besonders mit zunehmendem Alter – mit sich bringt.
Was bin ich doch vernünftig geworden. Dachte ich. Denn etwas anders sieht es an den Tagen vor der Menstruation aus.
In welcher Phase meines Zyklus ich mich befinde, ließe sich anhand meiner Google-Eingaben rekonstruieren. Hier ein paar Beispiele meiner Suchanfragen in den Tagen vor meiner letzten Periode: „Hoher Puls bei PMS?“, „Wann im Zyklus schlägt das Herz am schnellsten?“, „Symptome für hohen Blutdruck?“, „Höherer Blutdruck vor Menstruation?“, „Gefühl von Druck auf der Brust, was kann es sein?“
Ihr seht schon, da kommen jedes Mal einige Katastrophenszenarien zusammen, die mein baldiges Ableben betreffen.
Kaum blute ich, sehen meine Google-Anfragen wieder so aus: „Couchtisch Scandi/Landhausstil unter 300€“, „Rezept für einfachen Herbsteintopf“, „Flohmärkte Hamburg November“. Was eine Diskrepanz – von Todesszenarien zur Alltagsgemütlichkeit in nur wenigen Tagen.
Erklärungen für Symptome finden
Was soll das schon wieder? Sind wir mit Busenweh, tiefer grundloser Traurigkeit, unverhältnismäßiger Wut und dem irrationalen Bedürfnis, alle Brücken hinter uns abzubrechen – nur weil die Hormone sich allmonatlich im Ungleichgewicht befinden –, nicht genug gestraft? Scheinbar nicht.
Immerhin bin ich auf eine Erklärung gestoßen und die lautet PMM: prämenstruelle Magnifikation. Das bedeutet, bereits vorhandene psychische und auch physische Probleme werden während des PMS noch verschlimmert. Gerne würde ich dem PMM mal eine ganze Kolumne widmen, doch es lässt sich bisher kaum Literatur dazu finden.
PMM, so wird mir während des Schreibens dieser Kolumne klar, ist auch die Erklärung dafür, dass mir vor der Periode häufig schwindeliger ist als sonst. Zu Schwindel – im körperlichen Sinne, ich bin ein ehrlicher Mensch – neige ich ohnehin. Und ich habe bemerkt, dass mein Gang einen Tag bevor die Gebärmutterschleimhaut sich ablöst wackeliger ist. PMM also. Verstehe.
Wisst ihr, einerseits lebe ich in Furcht vor der nächsten Entdeckung, eines mir bis dahin unbekannten PMS-Symptoms, andererseits ist es auch heilsam und beruhigend, Erklärungen für diese Phänomene zu finden. So, und jetzt entschuldigt mich, ich muss ein gemütliches Herbstrezept googlen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!