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Potsdamer NSU-SondersitzungDie Umtriebe des V-Manns „Piatto“

Eine Sondersitzung im Landtag versucht, die Verstrickungen Brandenburgs in die NSU-Affäre zu entwirren. Und der Innenminister verspricht noch mehr Aufklärung.

Brandenburgs Innenminister Karl-Heinz Schröter (SPD) vor der Sitzung des Ausschusses Foto: dpa

Den Termin hätte er sich wohl gern erspart. Karl-Heinz Schröter (SPD) sitzt im Saal 1.050 des Potsdamer Landtags, ausdruckslos starrt er vor sich hin. „Wir haben nicht gemauert“, sagt Brandenburgs Innenminister später. „Er wurde alles geliefert.“

Es ist die Sitzung der Parlamentarischen Kontrollkommission im Landtag – und eine Premiere. Normalerweise tagt die Runde streng geheim. Am Dienstagnachmittag aber tritt die Kommission erstmals in ihrer Geschichte öffentlich zusammen – zu groß war zuletzt der Druck geworden. Denn nun steht auch Brandenburg im Fokus der NSU-Affäre.

Es geht vor allem um einen Mann: Carsten S. alias „Piatto“. Die frühere Neonazi-Größe ist eine der zwielichtigsten Gestalten im NSU-Komplex. S. wurde wegen versuchten Totschlags eines Nigerianers verurteilt, noch aus der Haft heraus wurde er 1994 zum V-Mann des Brandenburger Verfassungsschutzes. Und er lieferte 1998 Hinweise auch zum späteren NSU: Die Untergetauchten seien auf der Suche nach Waffen, berichtete er dem Amt. Sie bereiteten einen „weiteren Überfall“ sowie ihre Flucht nach Südafrika vor. Zudem benannte S. Kontaktpersonen der Untergetauchten.

Nur: Die Hinweise versandeten. Im Münchner NSU-Prozess hatten Opferanwälte Mitte März dem Brandenburger Verfassungsschutz vorgeworfen, mit der Weigerung, diese schriftlich an das LKA Thüringen weiterzugeben, sei eine Verhaftung des NSU-Trios verhindert worden. Die Neonazis blieben im Untergrund und töteten am Ende zehn Menschen.

Heiko Homburg, Referatsleiter beim Verfassungsschutzchef Brandenburg, widerspricht am Dienstag im Ausschuss. „Alle Hinweise wurden regelmäßig und zeitnah weitergegeben.“ Auch das LKA Thüringen habe von „Piattos“ Tipps erfahren. Dass dies nicht schriftlich erfolgte, sei irrelevant, behauptet Homburg: „Die Polizei muss tätig werden, wenn sie so etwas erfährt, da braucht es keinen Vermerk.“ Die Opferanwälte widersprechen: Ohne Belege hätten die Ermittler keine weiteren Maßnahmen bei den Gerichten beantragen können.

Brandenburgs Vizechef des Verfassungsschutzes, Mathias Rhode, räumt zudem ein, dass sein Amt damals Gespräche mit der Justiz geführt hatte, Carsten S. früher aus der Haft zu entlassen. „Wir hatten ein Interesse daran.“ S. sei damals die „mit Abstand beste Quelle“ gewesen. Die Entscheidung, ihn tatsächlich früh freizulassen, habe aber die Justiz allein getroffen. Auch gesteht Rhode, es sei nicht auszuschließen, dass „Piatto“ Teile des Salärs von seiner Behörde – insgesamt 50.000 DM – in die rechte Szene gesteckt habe.

Der CDU-Abgeordnete Björn Lakenmacher spricht von „mehr Fragezeichen als Antworten“. Auch die Grüne Ursula Nonnemacher nennt die Sitzung „nur einen Auftakt“. „Wir brauchen mehr Aufklärung, auch um die Radikalisierung der rechten Szene in den Neunzigern nachzuvollziehen, weil wir heute wieder in einer ganz ähnlichen Situation sind.“

Carsten S. alias Piatto: eine der zwielichtigsten Figuren im NSU-Komplex

Schon im März hatten CDU und Grüne wegen der offenen Fragen um „Piatto“ einen Untersuchungsausschuss angekündigt, bundesweit den inzwischen achten zur NSU-Affäre. Die öffentliche Sitzung der Kontrollkommission sollte den Ausschuss ursprünglich abwenden. Vergebens. Inzwischen sind auch SPD und Linke eingeschwenkt, Ende April soll der Ausschuss eingesetzt werden.

Innenminister Schröter verspricht am Dienstag eine „umfassende Aufklärung“. Und Verfassungsschutzmann Homburg räumt ein, die NSU-Verbrechen stellten ein „totales Versagen aller Sicherheitsbehörden“ dar.

Die Brandenburger zogen zuletzt Kritik für ihren Umgang mit dem Münchner NSU-Prozess auf sich. Zuerst ließ das Innenministerium Akten zu „Piatto“ für die Verhandlung sperren und gab diese erst auf Druck frei. Dann legte der frühere V-Mann-Führer von Carsten S. einen denkwürdigen Auftritt hin: Mit Perücke saß er Kaugummi kauend im Gericht, mochte sich an fast nichts mehr erinnern – was ihm Rügen der Richter einbrachte. Nun also wird die Aufklärung in Sachen NSU auch von Potsdam aus erfolgen.

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