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Postkoloniale senegalesische KunstTanz auf Jutesäcken

Keine Schublade für afrikanische Kunst: Die Retrospektive des senegalesischen Künstlers El Hadji Sy im Frankfurter Weltkulturen Museum.

Der Künstler und ein Teil seines Werks im Frankfurter Museum. Bild: Wolfgang Günzel

Das Weltkulturen Museum in Frankfurt präsentiert zeitgenössische Kunst aus Senegal, und zwar Werke des in Dakar lebenden und arbeitenden Künstlers El Hadji Sy, der 1954 auch dort geboren wurde. Der vielseitige Senegalese hat seine Retrospektive am Main selbst kuratiert, assistiert von Direktorin Clémentine Deliss, Afrikakustodin Yvette Mutumba und Städelschuldirektor Philippe Pirotte.

Es ist ihm gelungen, dass schon ein Blick über die weiß gehaltenen Räume mit den großzügig gehängten Exponaten zum ästhetischen Genuss wird. Dass afrikanische Malerei ausgestellt wird, erkennt man vor allem an den Ethnografika aus der Kolonialzeit, die der Künstler-Kurator dazugruppiert hat und die für außereuropäisches Flair sorgen.

Die zeitgenössischen Werke selbst zeigen nicht die insgeheim erwartete typische Africanité. El Hadji Sy akzeptiert für sein Schaffen das Label „afrikanische Kunst“ überhaupt nicht: „Ich weiß nicht, was das sein soll, afrikanische Kunst. Wir können afrikanische Kunst nicht in eine Schublade stecken, genauso wenig wie europäische Kunst“, äußerte er in einem Interview. Mit seinem Statement setzt sich Sy bewusst in einen Gegensatz zu Léopold Sédar Senghor, von 1960 bis 1980 erster Staatspräsident des postkolonialen Senegal.

Senghor hatte während seines Studiums in Paris die Philosophie der „Négritude“ entwickelt, die das Selbstbewusstsein und die Unabhängigkeit der Schwarzen beiderseits des Atlantiks stärken sollte. Jean Paul Sartre adelte diese Betonung schwarzer Werte 1948 mit seinem Essay „Schwarzer Orpheus“, in dem er die Négritude als antirassistischen Rassismus rechtfertigte.

Die Ausstellung

Bis 8. Oktober, Weltkulturen Museum Frankfurt, Katalog (diaphanes Verlag) 35 Euro

Im 1960 unabhängig gewordenen Senegal ließ der Dichterpräsident Senghor bis zu 30 Prozent des Staatshaushalts in die Kultur fließen. Die École des Beaux Arts wurde gegründet, an der auch El Hadji Sy vier Jahre studierte. Stipendien wurden vergeben und Ausstellungen subventioniert. Das waren wunderbare Startbedingungen für junge Künstler. Die staatliche Patronage machte Senegal zum führenden afrikanischen Land in Sachen Kunst. Dafür erwartete man Négritude-Kunst, wie sie unter dem Begriff „École de Dakar“ in die Geschichte einging.

Der junge Künstler El Hadji Sy empfand diese Erwartungen als Gängelung. Mit anderen Künstlern gründete er parallele Institutionen wie das Laboratoire AGIT’Art und 1977 das Village des Arts, um unabhängig und selbstbestimmt arbeiten zu können. Besorgt über staatliche Beeinflussung, nimmt er bis heute nicht an der renommierten Biennale Dak’Art teil.

Gemälde auf Jutesäcken

Künstlerisch befreite sich El Hadji Sy von der Staffeleimalerei, indem er die Leinwand auf den Boden legte, sie mit den Füßen bemalte und auf ihr tanzte. Er wollte seinen Körper und dessen Rhythmus in den Prozess einbringen. Als dann der Staat ein solches Fußbild ankaufte, änderte Sy den Malgrund seiner Werke. Nun malte er auf zusammengenähten, gebrauchten Jutesäcken. In ihnen wurde zuvor Reis transportiert, manche tragen noch Stempel als Gebrauchsspuren ihrer früheren Geschichte. Diese großflächigen Gemälde sind die Höhepunkte der Ausstellung.

Schon durch ihre grobe Struktur, die unordentlichen Ränder und bräunliche Farbe haben sie eine enorme sinnliche Ausstrahlung. Die mit intensiven Acrylfarben, mit Wachs oder Teer gemalten Motive oszillieren zwischen Abstraktion und Gegenständlichkeit und deuten Kreatürliches an. Lediglich zwei Exponate mit politischer Aussage fallen auf. Es sind die auf abweisendem Metzgerpapier gemalte Visage des greisen Expräsidenten Wade und die Arbeit „Archéologie Marine“, die für die Biennale São Paulo entstand. Das 16 Meter lange und 5 Meter hohe Werk aus Fischernetzen, Seilen und Kaffeesäcken erinnert nicht nur an die Millionen Opfer der von Gorée ausgehenden Middlepassage, sondern auch an die heute zu Tausenden im Mittelmeer ertrinkenden Afrikaner und Afrikanerinnen.

In Frankfurt ist es zur Skulptur zusammengerollt und gehört zu den Dauerleihgaben, die der Künstler dem Weltkulturen Museum überließ. Die insgesamt etwa 50 Arbeiten wurden von dem in Darmstadt und Dakar lebenden Friedrich Axt gesammelt und nach seinem Tod 2010 an Sy zurückgegeben. Das Weltkulturen Museum mit seinen 70.000 historischen Objekten im Depot sammelte als eines der ersten ethnologischen Museen auch zeitgenössische Kunst, vor allem aus Afrika, und besitzt davon bereits 3.000 Objekte.

Durch El Hadji Sys Dauerleihgabe wurde die noch immer exotische Ausstellung möglich. Trotzdem wäre zu wünschen, dass El Hadji Sy seine nächsten 50 Werke an eine Institution in Dakar gibt. Damit die unselige Anhäufung von Ethnografika in den Depots der Nordhalbkugel sich nicht bei der Gegenwartskunst wiederholt.

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