Post-Pop-Art in Delmenhorst: Der Salzstein der Giraffe
Ane Mette Hol und Jan Schmidt präsentieren in der Städtischen Galerie Delmenhorst Kunstwerke, die manchmal an Andy Warhol und Robert Rauschenberg erinnern.
BREMEN taz | Es gibt gewisse Themen, die lassen die Kunst einfach nicht mehr los. Auch wenn sie bereits tausendfach von Künstlerinnen und Künstlern überall auf der Erde und zu unterschiedlichen Zeiten bearbeitet wurden. Dazu gehören etwa Fragen zu Konstanten wie Körper und Zeit.
Sie bleiben notwendig Gegenstand künstlerischer Beschäftigung, weil sie notwendig Gegenstand menschlicher Beschäftigung bleiben. Techniken und Strategien mögen variieren, Fragen und Interesse bleiben dieselben. Sie stellen sich immer wieder von Neuem. Ohne Körper und Zeit geht es eben nicht.
Neben solch anthropologischen Themen gibt es auch solche, die an die Grundlagen der Kunst rühren und als solche immer wieder künstlerisch behandelt werden. Neben der Frage nach der Grenze zwischen Kunst und Alltag ist da zum Beispiel immer wieder die nach Original und nach Kopie.
Und auch wenn man diese Art der Beschäftigung vor allem auf die 1960er-Jahre zurückführt – Andy Warhols Brillo Boxen und Robert Rauschenbergs Collagen aus nachgedrucktem Verpackungskarton etwa – stellen sich schon bei früher bildhauerischer Nachbildung menschlicher Figuren ähnliche Probleme. Womit wiederum Fragen der Menschheit auf Fragen der Kunst treffen.
Kopieren als künstlerische Strategie
Die Städtische Galerie Delmenhorst zeigt nun unter dem Titel „Condition Report“ noch bis Anfang September aktuelle Arbeiten, die sich mit unterschiedlichen Arten des Kopierens als künstlerischer Strategie beschäftigen.
Zu sehen sind Zeichnungen, Skulpturen und Installationen von Ane Mette Hol und Jan Schmidt. Sie wurden in den 1970er-Jahren, im norwegischen Bodø beziehungsweise in Wiesbaden geboren. Sie stehen somit durchaus in der Tradition von Verpackungskopisten wie Andy Warhol und Robert Rauschenberg.
Und denen scheinen Ane Mette Hol und Jan Schmidt weit näher als die Kopisten der 1990er-Jahre – wie Gregor Schneider und Thomas Demand zum Beispiel. Poetischer und stiller als die Popartisten Warhol und Rauschenberg sind Hol und Schmidt aber schon.
Die beiden jetzt in Delmenhorst präsentierten Künstler kannten einander vor der Zusammenführung durch die Direktorin der Städtischen Galerie und Kuratorin der Ausstellung, Annett Reckert, nicht. Ihre Arbeitsweisen korrespondieren aber durchaus miteinander. Da sie in wechselnden Räumen zu finden sind und darüber hinaus sehr großzügig platziert sind, behalten sie aber das nötige Eigene.
Eigentlich stellt ja bereits jede Bronzeskulptur die Kopie von etwas anderem dar. Man kann natürlich auch direkt nach einem in der Natur gefundenen Vorbild einen solchen Guss anfertigen. Wenn man das Ganze dann in Schamott einfasst, etwas stabilisiert und ein paar Gussröhrchen legt, kann man auch direkt einen Abguss davon nehmen. Der – in der Natur oder anderswo gefundene – Gegenstand verbrennt, und übrig bleibt ein metallenes Kunstwerk, das dessen Form annahm.
Ausgeleckter Prototyp
Von Jan Schmidt stehen in einem der Räume des ehemaligen herrschaftlichen Delmenhorster Wohnhauses auf Sockeln aus Stein bronzene Kleinplastiken, die an informelle Bildhauerei der 1950er-Jahre oder an ausgespülte Steine am Strand erinnern. Benannt sind diese organisch wirkenden unbehandelten Metallklumpen nach Tieren: „Elch“, „Ziege“, „Giraffe“ und „Esel“.
Die Urbilder waren handelsübliche und von den jeweiligen Tieren ausgeschleckte Salzsteine, die der Biologe in Ställen, Tierparks und Wildgehegen fand. An den Aushöhlungen kann man das Leckverhalten der Tiere erkennen: Der Schafsklumpen weist nebeneinander liegende Höhlen auf, weil Schafe beim Lecken nebeneinander stehen.
#Der Giraffenbrocken ist nur von oben angeleckt – aus verständlichen Gründen. Und je mehr Zeit vergeht, desto ausgeleckter ist der Prototyp – und also das Kunstwerk. Nachdem der Guss gemacht ist, steht man vor einer Kooperationsarbeit von Künstler, Ziege, Esel, Schaf und Giraffe.
In einem anderen Raum der Galerie wird das Vergehen der Zeit materialisiert. Eine Woche lang hat Schmidt an einem Quader griechischen Marmors gefeilt. Auf dem Parkettboden hat er ein System aufgezeichnet, innerhalb dessen er den Stein bewegt hat.
Ane Mette kopiert klassischer
Das Muster, das hier in Steinstaub über den Boden gezogen ist, wirkt sehr präzise. Natürlich weiß man nicht auf Anhieb zu sagen, was dieses weiße Pulver sein soll, das hier den gesamten Boden bedeckt. Auch wenn man den sehr systematisch ausgefrästen Marmorstein gleich beim Betreten der Ausstellung bereits zu Gesicht bekam. Und so entstehen Gedanken an Profanes, wie Weizenmehl oder Träume von Kokain.
Was sich praktisch von selbst in den weißen Staubfilm hinein kopiert, sind feine, aber wirre Linien, die Insekten hinterlassen haben müssen. Und tatsächlich findet sich am Rand eine tote Fliege, die, völlig bedeckt von weißem Marmorstaub, daran erstickt sein könnte.
Ane Mette Hol kopiert ihre Umwelt klassischer. In einer Tischvitrine liegt ein scheinbar kopiertes Din-A4-Blatt. In Serifen steht das Inhaltsverzeichnis eines englischsprachigen Zeichenlehrbuchs. Der Clou ist, dass es sich bei der vermeintlich mechanischen Kopie um eine Handzeichnung handelt.
Ebenfalls unter Glas liegen aufgefächert etwa 20 Blätter unterschiedlicher Schwarzstärke. Die Künstlerin hat eine weiße Seite 20 Mal über den Kopierer gezogen und jedesmal den Farbwert erhöht. Anschließend hat sie die feine Pigmentstruktur auf ihr Zeichenpapier übertragen: Die Künstlerin kopiert den Kopierer.
Überhaupt beschäftigt sich Ane Mette Hol sehr oft mit den Bedingungen der eigenen Arbeit. Hier und da findet man innerhalb der Ausstellung scheinbar beiläufig abgelegte Schachteln für Glühbirnen und Neonröhren. Es handelt sich dabei um genau die Marken, die sie in ihrem Atelier verwendet. Die Aufdrucke sind wiederum von ihr aufgezeichnet. Das erinnert dann schon stark an ihre Vorfahren aus der Ära der Popart.
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