Post-HipHop: Sängerin M.I.A: Tamil Tiger der Popkultur
Die Sängerin M.I.A. ist ein Weltstar. Brachial und charismatisch verknüpft sie Dancefloor, Dubstep und Diaspora-Trash. Gleichzeitig verkörpert sie die tamilische Diaspora.
BERLIN taz | Tastaturgeklapper und Abzählreime. Das neue, dritte, "Maya" genannte Album lässt die Sängerin Mathangi Arulpragasam, besser bekannt unter ihrem Künstlernamen M.I.A., mit zeittypischen Geräuschen und einem simplen Trick beginnen. Die 35-jährige Tamilin mit englischem Pass wandelt das Kinderlied "Dry Bones" ab, um den komplizierten Sachverhalt zu erklären, dass die Schädel von Internetbenutzern über Rückgrat, Arm- und Fingerknochen via Suchmaschine direkt mit ihrer Regierung verbunden seien. Eine Messerspitze Verschwörungstheorie: fertig ist "The Message", eine Reminiszenz an den gleichnamigen Rapklassiker von Grandmaster Flash. Grelle Synthesizertöne und metallisch kesselnden Beats zerschneiden M.I.A.s Stimme während einer Minute.
"The Message" ist bloß Vorspiel für weitere vierzig alarmistische Popminuten. Rhythmisch ausgefeilt, aber akut in der Wucht, die auf jedem Dancefloor der Welt als Signal verstanden werden. Simpel in der Wahl der Melodien, die aus Signaltönen und Störgeräuschen des digitalen Alltags gezogen sind, doch niemals anheimelnd. Plakativ auch ihre Aussagen, die M.I.A. als ultimative Repräsentantin des Post-HipHop-Zeitalters ausweisen.
M.I.A. ist heute ein Popstar, eine, die genau weiß, was sie will und wie sie es kriegen kann. Und, wo die Grenzen sind. "You want me be somebody/Who Im really not" singt sie in dem Song "XXXO". "Dubstep gemischt mit russischem Konstruktivismus" hat das Magazin The Fader über das Beatdesign dieses Songs geschrieben. An anderer Stelle tauchen Banghra-Beats auf, Metal-Stampfen. Dancefloor-Gesten verbinden sich mit dem Willen zur Übertreibung.
Textlich reicht M.I.A. weit über die Zeichenwelt des gängigen HipHop hinaus. Statt Gangsta und billigen Sexfantasien rappt M.I.A. widersprüchliche Reime. Zu Werbezwecken hat sich der Weltstar mit sündhaft teuren Givenchy-Geschmeiden ablichten lassen, von einem tamilischen Hochzeitsfotografen in London mit Bollywood-Fototapete als Hintergrund. "They told me this was a free country / but now it feels like a chicken factory", singt sie in dem Hit "Lovalot". Den endlos wiederholten Refrain "I really lovealot" dehnt sie lustvoll im Londoner Dialekt, so dass es sich nach "I really love Allah" anhört. "Lovealot" ist die Geschichte einer tschetschenischen schwarzen Witwe, die als Teenagerin aus Liebe zur Selbstmordbomberin in der Moskauer U-Bahn wurde.
Zumindest teilweise verkörpert M.I.A. die tamilische Diaspora. In London geboren; als sie sechs Monate alt war, übersiedelte ihre Familie zurück nach Sri Lanka. Als Achtjährige floh sie mit ihrer Mutter vor dem dortigen Bürgerkrieg wieder zurück nach England. Es folgen Flüchtlingsheim und Sozialwohnung im Londoner Osten und britischer Rassismus.
Bis heute kommt M.I.A. immer wieder auf den Konflikt in Sri Lanka zu sprechen, unterstützt dabei auch die zweifelhaften Positionen der Tamil Tigers, (und wenn sie nur im Tigermuster zu einem PR-Termin aufkreuzt). Kontroverses deklariert M.I.A. zur Kunst. Etwa im Februar, als sie "Fuck You New York Times" twitterte, weil die US-Tageszeitung die Strände Sri Lankas zu begehrten Reisezielen auserkoren hatte.
Im Mai veröffentlichte M.I.A. als Blendgranate für das neue Album ein Musikvideo des französischen Filmemachers Romain Gavras. Der Kurzfilm, von Youtube zensiert, frei zu sehen auf M.I.A.s Internetseite, zeigt, wie ein rothaariger Junge von Polizisten erschossen wird, die zuvor andere rothaarige Jungen selektiert und gefoltert haben.
Der neunminütige äußerst gewalttätige Clip läuft zur Musik ihres Songs "Born Free". Basierend auf einem zu Stakkato-Rhythmus zerhackten Sample des New Yorker Artpunk-Duos Suicide singt sie in "Born Free" die Zeilen "I dont want to talk about money / Cause I got it."
Inzwischen lebt M.I.A. mit Freund und Sohn in Beverly Hills, Kalifornien. Und trotzdem behauptet sie, ihr Telefon würde abgehört und die singhalesische Gemeinde in Los Angeles sei ihr auf den Fersen. Verarbeitet sie so die Widersprüche in ihrer Existenz zu einer öffentlich zugänglichen Figur?
Ursprünglich wollte M.IA. Filmemacherin werden, verlor aber die Geduld und entdeckte wie viele Kunsthochschüler vor ihr die Ausdrucksmöglichkeiten der Popmusik für sich. Der Vater ihres Freundes Ben Bronfman ist Vorstand des US-Entertainment-Konzerns Warner Brothers und Erbe des Spirituosenherstellers Seagram. "Shoot the Teqkilla in me", singt M.I.A. in dem Song "Teqkilla" und macht ansprechend fiese Wortspiele mit allen möglichen Markenschnäpsen der schönen neuen Warenwelt. "Johnny keep walking / Jack does too much Coke / Jim Beam and Jameson they give me choke …/ When I met Seagrams / Sent Chivaz down my spine / Got me on the Dancefloor / then we start to wine / His ex Sambucca / Shes just a Hooker / I put on a Chilla / I want to Killa".
M.I.A. arbeitet mit den fortschrittlichsten Produzenten, die zwischen Londoner Dubstepszene und Baltimore Club Sound unterwegs sind. Rusko und Blaqstarr haben Tracks produziert und ihr Exfreund Diplo hat für "Maya" wieder in die Samplebibliothek gegriffen und sie auch zum Singen gebracht. Auf dem neuen Album ist M.I.A.s Stimme jedoch mit dem Autotune-Effekt verfremdet. Es ist das einzige Zugeständnis an Mainstream-Tauglichkeit in einem ansonsten gegen den Strich gebürsteten Popalbum.
M.I.A. - der Name ist Militärsprache für Missing in Action, "vermisst". M.I.A. ist, seit sie vor fünf Jahren auf der Bildfläche aufgetaucht ist, äußerst präsent. Und schwer ausrechenbar. In einem Moment klingt ihr Album "Maya" nach freundlich wippendem Sommerreggae, im nächsten übersteuern alle Kanäle. Nicht nur die Musik, auch die Künstlerpersona von M.I.A. steckt voller Widersprüche. Wenn Pop knallen soll, dann braucht er genau solche Kontraste.
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