Spritzen im Knast: Positive Bilanz
■ Modellversuch in Vechta erfolgreich
Oldenburg. Schluß mit dem lebensgefährlichen Spritzentausch: In der Justizvollzugsanstalt Lingen und im Vechtaer Frauenknast tauschen inhaftierte Junkies nach eigenen Angaben keine benutzten Spritzen mehr untereinander aus – seit ihnen 1996 erstmals saubere Einwegspritzen in Spritzenautomaten frei zugänglich gemacht wurden. Damit tendiert die Gefahr einer Ansteckung mit HIV oder Hepatitis durch „Needle-Sharing“gen Null. Diese positive Zwischenbilanz zog Niedersachsens Justizministerin Heidi Alm-Merk gestern bei einer Fachtagung in der Uni Oldenburg.
Noch kurz vor dem Start des Modellprojektes des niedersächsischen Justizministeriums hatten 76 Prozent der Frauen und 87 Prozent der Männer ihre Spritzen nach Gebrauch an durchschnittlich drei bis sechs Mitgefangene weitergegeben. Die Folgen: Unter den Junkies kam es zu Hepatitis-Infektionsraten von rund 80 Prozent. Jetzt gingen die Drogenotfälle im Frauenknast sogar zurück; in Einzelfällen sei es darüber hinaus gelungen, Inhaftierte durch Gespräche zu einem Entzug zu bewegen.
Außerdem hätten sich anfängliche Ängste des Vollzugspersonals, Junkies könnten mit Spritzen auf sie losgehen, nicht bestätigt. Stattdessen seien „offenere und angstfreiere Gespräche“mit den Gefangenen über die Sucht möglich. Ganz nebenbei brach der Knast-Schwarzmarkt für Spritzen in sich zusammen.
Eine grundsätzliche politische Forderung nach freier Spritzenvergabe in bundesdeutschen Knästen wollte Alm-Merk gestern jedoch „noch nicht“formulieren: Erst wenn gegen Ende 1998 die Erfahrungen des Modellversuches wissenschaftlich ausgewertet und verifiziert seien, könne „eine politische Entscheidung über eine zeitliche und räumliche Ausdehnung des Projekts“getroffen werden. Eine entsprechende Gesetzes-Initiative der niedersächsischen Landesregierung sei aber „durchaus denkbar“. Ein solches Gesetz ist auch notwendig, falls das Projekt ausgeweitet werden soll.
Denn bis zur Aufnahme eines entsprechenden Passus ins Strafvollzugsgesetz bleibt die Spitzenausgabe im Knast nicht nur politisch umstritten, sondern auch - wie in Bremen - ein Fall für die juristische Interpretation. Dabei lasse das 1992 geänderte Betäubungsmitteldie Abgabe steriler Spritzen „durchaus zu“, so die Justizministerin. Außerdem stützt sie das Projekt auf den „Angleichungsgrundsatz“, der besagt: Das Leben in Haft müsse dem Leben „draußen“angeglichen werden. Außerdem müsse schädlichen Folgen der Haft vorgebeugt werden. Dazu sagte die Justizministerin Heidi Alm-Merk: „Wir wissen alle, daß Drogenkonsum im Vollzug nicht gänzlich zu verhindern ist. Aber beim Needle-Sharing könnte man auch von Virus-Sharing sprechen.“ Jens Breder
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