Portrait: Pragmatiker in Gefängnis
Er sagt, er habe den schönsten Job der Welt. Einen, bei dem er Menschen positiv beeinflussen könne. Wenn man Wolfgang Kuhlmann reden hört, glaubt man nicht, dass er die Jugendanstalt Hameln leitet, in der Männer zwischen 14 und 24 Jahren ihre Strafe verbüßen.
Aber das Hamelner Gefängnis ist ja auch nicht irgendein Gefängnis. Sondern eins, das sich der Opferorientierung verschrieben hat. Auch deshalb hat Kuhlmann auf Anregung des niedersächsischen Justizministerrums für Ende März die Wanderausstellung über Anne Frank ins Haus geholt, die zudem über Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus informiert.
Gefangene sollen Schülergruppen durch die Schau führen. Das ist für die jungen Männer nicht leicht. Viele haben nie von der 15-jährigen Jüdin Anne Frank gehört, die die Nazis 1945, nach zwei Jahren im Amsterdamer Versteck, mit ihrer Familie im KZ Bergen-Belsen ermordeten.
Dabei ist ihnen Anne Franks Schicksal näher als zunächst gedacht. Denn sie war nicht nur gefangen, sondern, wie viele Häftlinge, ein junger Mensch auf Identitätssuche. „Das kennen sie von sich selbst. Das ist auch eine Phase, in der man anfällig ist für Radikalisierung und Ausgrenzung“, sagt Kuhlmann. Über diesen Link komme man gut ins Gespräch über die Opfer-Perspektive, über die Konsequenzen der eigenen Tat. „Viele Insassen sagen, nie zuvor habe jemand so intensiv mit ihnen gesprochen“, berichtet der Erzieher und Psychologe Kuhlmann, der vorher in Jugendheimen arbeitete.
Und was ist für ihn Erfolg? „Wenn zwei Drittel nicht wieder inhaftiert werden“, sagt der 52-Jährige und weiß, dass einige von ihnen vielleicht doch wieder straffällig werden. Aber das entmutigt ihn nicht, denn ihm ist klar: Sein Job ist ein Auftrag mit ungewissem Ausgang. Damit kann er leben. PS
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