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PortraitUnerwünschte Wahrheiten

Wenn einer kein Blatt vor den Mund nimmt, dann ist es Ahmet Şık. Noch nach seiner Festnahme am Donnerstag twitterte er seine Meinung zur türkischen Regierung: „Ihre einzige Religion ist der Faschismus.“

Seit vielen Jahren gilt der heute 46-jährige Şık als einer der bedeutendsten inves­ti­gativen Journalisten der Türkei. Sein bekanntestes Buch durfte allerdings offiziell gar nicht erscheinen: In „Imamin Ordusu“ („Die Armee des Imam“) beschreibt Şık, wie die islamistische Gülen-Bewegung Polizei und Streitkräfte der Türkei systematisch unterwandert hat – im Auftrag ihres in den USA lebenden türkischen Predigers Fetullah Gülen.

Als Ahmet Şık 2011 kurz davor war, sein Buch fertigzustellen, stürmten Polizisten seine Wohnung, nahmen ihn fest und beschlagnahmten das gesamte Material samt Manuskript.

Zu dieser Zeit war Gülen noch der beste Verbündete des heutigen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan. Die Veröffentlichung der gesammelten Informationen war deshalb in den Augen der Regierung unerwünscht. Şık blieb knapp ein Jahr in Untersuchungshaft, das Buch wurde verboten. Freunde publizierten es dennoch im Internet.

Wer nun glaubt, Erdoğan wäre Şık wenigstens im Nachhinein dankbar für dessen Recherchen, irrt sich gewaltig. Denn Ahmet Şık sagt offen: Wer Gülen kritisiere, müsse im gleichen Atemzug auch davon reden, dass Erdoğan die Gülen-Sekte mehr als zehn Jahre protegiert hat. Erst vor wenigen Monaten noch forderte Şık, Erdoğan und Gülen müssten gemeinsam vor Gericht gestellt werden.

Nach dem Putschversuch im August sind solche Ansichten, wenn sie öffentlich geäußert werden, brandgefährlich. Angeblich wurde Şık denn auch wegen kritischer Tweets über Erdoğan und die Regierungspartei AKP festgenommen.

Bekannte Şıks erzählen jedoch, der Journalist recherchiere seit Längerem über den „Islamischen Staat“ in der Türkei und dessen Kontakte zur Regierung. Wenn das stimmt, wäre diese Arbeit heute genauso brisant wie die Nachforschungen über Gülen 2011. Nichts ärgert Erdoğan mehr als Kritik an seiner tatsächlichen oder vermeintlichen Zusammenarbeit mit dem IS. Das musste schon Can Dündar erfahren, nachdem er in der Zeitung Cumhuriyet illegale Waffentransporte der türkischen Regierung an syrische Islamisten aufgedeckt hatte.

Jürgen Gottschlich

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