Portrait: Das Vorbild
An das Gefühl, seine Heimat zurücklassen zu müssen, erinnert sich der Boxer Artem Harutyunyan nicht mehr so gut. 1991 beschlossen seine Eltern, die Stadt Jerewan in Armenien wegen anhaltender Konflikte zu verlassen. Zu dem Zeitpunkt war er ein Jahr alt, sein Bruder war zwei. Trotzdem waren die ersten Momente in Deutschland für ihn prägend.
Der Weg führte nach Hamburg. „Genau wie die Flüchtlinge heute, mussten wir in einem Asylbewerberheim leben – es war eine schwierige Situation“, sagt der 25-Jährige. Seine Mitschüler hätten ihn durch die Sprachbarriere mit anderen Augen gesehen, er sei der Junge aus dem Ausland gewesen.
„Heute bin ich komplett integriert“, sagt Artem. Das geschah bei ihm durch Sport: Er boxt, seitdem er neun Jahre alt ist. Vor vier Wochen hat er sich für die Olympischen Spiele 2016 in Rio de Janeiro qualifiziert. „Jetzt habe ich die Chance, Deutschland im Boxen zu vertreten.“ Seine Gewichtsklasse ist das Halbweltergewicht – diese Klasse geht bis 64 Kilogramm.
Sein Engagement für Flüchtlinge rühre von der eigenen Vergangenheit her, sagt er. Vor Kurzem habe er ein Probetraining zusammen mit fünf syrischen Flüchtlingen einer Erstaufnahmeeinrichtung am Hamburger Flughafen absolviert. „Ich möchte nicht nur nehmen, sondern auch geben“, sagt Artem. Er wolle für die Asylsuchenden ein Vorbild sein. „Ich möchte den Flüchtlingen zeigen, dass sie nicht aufgeben sollen und dass man alles erreichen kann.“
Gerade alleinstehende Flüchtlinge seien oft gelangweilt – sie wüssten nicht, wie sie den Tag verbringen sollen. „Schon als mich die Flüchtlinge von Weitem sahen, begannen sie zu strahlen“, erzählt Artem. Was mit einem Probetraining im kleinen Rahmen begann, soll zu einem regelmäßigen Engagement werden.
„Sport verbindet über Landesgrenzen hinaus. Da ist auch die Hautfarbe egal“, sagt er. Es werde nicht zwischen Nationalitäten unterschieden, niemand werde ausgeschlossen. Um den Flüchtlingen der Erstaufnahmeeinrichtung noch mehr Abwechslung zu bieten, hat Artem ihnen 500 Freikarten für seinen nächsten Boxkampf geschenkt. In der Inselparkhalle tritt er gegen den russischen Weltmeister Armen Sarkajan an. Fabio Kalla
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen