Portrait Schauspielerin Birgit Minichmayr: "Alles, was man in sich hat"
Am Wiener Burgtheater und im neuen Kinofilm "Fallen": Die Schauspielerin Birgit Minichmayr legt ihre Figuren gerne als Außenseiterinnen an.
Wenn der Nebel auf der Bühne wieder verschwindet, scheint sie sich mit ihm auflösen zu wollen. Ein staksig-trauriges Geburtstagskind im blassrosa Minikleid. Der glitzernde Papphut lässt ihren Kopf wie eine Eselsmütze noch tiefer hängen. Den Blick betreten auf den Boden gerichtet, als schäme sie sich: nicht für sich, sondern für die Erwachsenen, die im "Iwanow", der seit zweieinhalb Jahren mit großem Erfolg an der Berliner Volksbühne läuft, um sie herum ein Fest anrichten. Ein Fest der vielen Worte, mit denen jeder an den Lebenssinn appelliert, das Geld meint und nur Iwanow seine Leere und Taten-Unlust gestehen kann. Jeder dieser Sätze scheint ihre Scham noch zu verstärken. Aber wenn sich erst ihr Ventil öffnet, entweicht der jungen Sascha der Birgit Minichmayr umso tatkräftiger eine Trotzigkeit, mit der sie diesen Iwanow liebestoll zu Boden reißt, sich kindlich auf ihm zusammenkrümmt und am Ende die klügsten Sätze von allen sagt.
Dass die 30-jährige Schauspielerin in so manchen ihrer Rollen, nicht nur in der Iwanow-Inszenierung von Dimiter Gotscheff, halb an ein Kind, halb an einen Kobold erinnert, sollte nicht den Blick auf ihr Spiel verstellen. Immer findet sie einen Weg, die Falschheit um sich herum zum Ausdruck zu bringen. Am Wiener Burgtheater ist sie im "König Lear" ein androgyner schwarzgekleideter Narr mit viel Zuneigung zum geliebten alten König und ohne Scheu, ihm genauso wie den bösen Töchtern auf der Nase herumzutanzen. Egal, ob als Kindsmörderin Medea, die sie am Burgtheater auch schon war, ob als Führerbunker-Sekretärin im "Untergang" oder als eine von fünf Exkommilitoninnen, die sich in dem Kinofilm "Fallen" der österreichischen Regisseurin Barbara Albert, der am Donnerstag startet, auf einer Begräbnisfeier wiedertreffen: Man genießt bei ihr Distanz, die sie zwischen ihre Rolle und ihre Umgebung stellt. Und so kann man sie zu der Spezies Schauspieler zählen, die sie selbst liebt und bewundert. "Das ist ein Ziel von mir und das ist etwas, was ich selbst an anderen Schauspielern schätze: Wenn sie es schaffen, auf der Bühne eigenständig zu agieren."
Bis man Minichmayr im Café solche Sätze sagen hört, braucht es Hartnäckigkeit. Auf der Bühne ist sie in ihrem Element. Außerhalb davon hat sie eine fast altmodische Angst, zu viel von sich preiszugeben. Wird nach eigenem Bekunden "bockig", wenn sie Aufmerksamkeit bedienen soll. Was oft passieren wird, scheint doch das Rauslassen zu einem Teil ihrer Persönlichkeit zu gehören. Sehr durchlässig wirkt sie mit ihrer durchschimmernden sommersprossigen Haut, als könne da jederzeit viel durchkommen.
Bereits an der Schauspielschule wurde Klaus Maria Brandauer ihr wichtigster Lehrer. "Er hat mir wie kein anderer beigebracht, wie man mit Text und Gedanken umgeht. Dass hinter einem Satz nicht nur ein Gedanke, sondern zehn stecken und dass man sich auf der Bühne erlauben darf, alle mitzudenken." Birgit Minichmayr, die in der Nähe von Linz auf einem Bauernhof groß wurde, wollte schon auf der Schule Schauspielerin werden. Nach einem erfolglosen Vorsprechen am Mozarteum Salzburg nahm sie das Wiener Max-Reinhardt-Seminar auf. Von dort wechselte sie nahtlos ins Ensemble des Wiener Burgtheaters und genoss erst mal den Luxus, große und wichtige Aufgaben zu übernehmen.
Nach fünf Jahren kam die Krise. "Ich fing an, in meine eigenen Fußstapfen zu treten. Es war höchste Zeit, mal woanders hinzugehen." Kurz darauf folgt das Angebot von Frank Castorf, in "Gier nach Gold" mitzuspielen, seiner Produktion für die Ruhrfestspiele und die Berliner Volksbühne. Für Minichmayr bewegte sich wieder etwas weiter. Die Kritik zeigte sich irritiert, dass Minichmayr an der Volksbühne spielt, als hätte sie nie woanders gelernt. So unterschiedlich sie die Rollen in zwei Jahren Ensemble-Zugehörigkeit anpackte, als Cowgirl Trina etwa oder als Gerda in der "Schneekönigin", verwirklichte Minichmayr in ihnen nur, was sie immer interessiert: nicht nur Dienerin einer Theaternarration zu sein, sondern die Vielfalt auszunutzen. "Ich bin ja der Meinung, dass man alles spielen kann, weil man auch alles in sich trägt. Das ist eine Frage der Vorstellungskraft. Alles, was man in sich hat, kann man auch wieder rauslassen."
Dass sie ihren Erfolg dem Theater zu verdanken hat, ihre Bekanntheit aber mit ihren Auftritten beim Film stieg, dazu hat Minichmayr ein kompliziertes Verhältnis. Verfällt in ihren österreichischen Heimatklang, wenn sie die Anrufe der Casting-Agenten karikiert, die mal wieder ein Gesicht für einen Film aus alten Zeiten braucht. Nach Auftritten als Büromädchen im "Fall Furtwängler" und dem "Untergang" habe sie "einen Sekretärinnenstopp" eingelegt und lieber im österreichischen Autorenkino mitgemischt. Wenn sie auch hadert, beim Film der Technik ausgeliefert zu sein, so liebt sie doch das intime Spiel für die Kamera, und mit ihr ist sie geworden, was sie eigentlich hasst: ein Star.
Heute bei Dreharbeiten zum Einsatz zu kommen, morgen auf der Bühne Medea, Ophelia oder die Dreigroschenoper-Polly zu spielen, erscheint bei Minichmayr möglich durch die strikte Trennung in zwei unterschiedliche Jobs. Aber auch durch einen Zugriff, der immer mehr wagt als das Offensichtliche und Kanonhafte solcher Lieblingsrollen der klassischen Theaterliteratur. Als sie am Wiener Burgtheater, an das sie mittlerweile wieder zurückgekehrt ist, in "Hamlet" die Ophelia spielte, war das keine Kranke, die über Wiesen rennt, sondern eine an den äußersten Rand katapultierte Frau, die nicht sein kann, was sie möchte.
Als Außenseiterinnen legt Minichmayr ihre Figuren immer wieder an. Aber man sollte sich davon nicht täuschen lassen: Immer steht sie am Ende im Zentrum des Geschehens.
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