Porträt: Einer für die Straße
Wenn jemand zur Charakterisierung eines anderen das Wort „Paradiesvogel“ benutzt, darf man getrost vermuten, er würde auch Winfried Kretschmann eine rebellische Ader bescheinigen – weil der in seiner Jugend mal gekifft haben soll. Kaum ein Artikel über den Tennisspieler Dustin Brown allerdings kommt aus ohne dieses sprachliche No-Go: Lange Dreadlocks, bunte Outfits, unkonventionelle Spielweise und emotionale Ausbrüche, die jamaikanischen Wurzeln und das zeitweilige Leben als VW-Bus-Globetrotter – eigentlich alles an dem gerade noch 30-Jährigen scheint Klischee. Erst recht angesichts seiner Geburtsstadt Celle, Inbegriff deutscher Beamtenseligkeit, und seines derzeitigen Wohnorts: Winsen/Aller.
Lässt man all die Äußerlichkeiten beiseite, bleibt da einer, der irgendwann beschloss, Tennisprofi zu werden, und sich seitdem auf einer harten Tour über die Courts dieser Welt befindet. Dass er dabei tatsächlich über mehrere Jahre im Camping-Bus übernachtet hat, war schlicht der Tatsache geschuldet, dass die Prämien weder für einen Trainer reichten – noch für Hotelzimmer.
Mit elf Jahren kam der Sohn einer Deutschen und eines Jamaikaners auf jene Insel in der Karibik, wo er 2002 dann, mit 18, Turniere zu spielen begann. Ein Jahr später hatte er sogar einen Einsatz im Davis Cup. Wenig später zog er wieder nach Deutschland und spielte sich über kleine und mittlere Turniere von Plätzen um die 500 bis unter die Top 100 der Weltrangliste. Es folgten ATP- und die Qualifikationsrunden von Grand-Slam-Turnieren. Im Doppel, wo er es zwischenzeitlich bis auf Platz 43 schaffte, gewann Brown bislang zwei ATP-Titel, seine beste Einzel-Platzierung war Rang 78 im Juni 2014.
Die spektakulärsten Erfolge waren allerdings zwei Sensationssiege gegen den Spanier Rafael Nadal – immerhin mal 141 Wochen lang die Nummer 1 der Weltrangliste – in Halle/Westfalen und Wimbledon. Beide Male auf Browns Lieblingsbelag: Mit Rasen unter den Füßen kann er mit seiner Hop-oder-Top-Spielweise an guten Tagen jeden Gegner schlagen. Aber auch, an den anderen, gegen jeden verlieren. Gäbe es im Tennis ein Äquivalent zum Straßenfußballer: Auf Dustin Brown träfe es zu.
Seit 2010 hat er die deutsche Staatsbürgerschaft und ist somit für Deutschland im Davis Cup spielberechtigt. Einen Einsatz hatte er bereits im September in der Dominikanischen Republik. Zwar verlor er dort sein Match, aber seitdem klar ist, dass das nächste Davis-Cup-Spiel Anfang März gegen Tschechien in Hannover stattfinden wird, hoffen sie in Niedersachsen, ihren Landsmann dort wenigstens im Doppel zu sehen zu bekommen. RLO
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