Porträt: Der Bäcker der verlorenen Seelen

Kultur fängt beim Teigkneten an: ln einer Backstube in Berlin-Mitte backt Oliver Sporys für die schwäbische Exilgemeinde, DDR-Nostalgiker und Trendsetter.

Brot für die Welt? Brot für Mitte! Bild: AP

Mehl, Wasser, Salz, Sauerteig und Hefe hat Oliver Sporys schon auf der ganzen Welt zusammengemischt. Er ist 41 Jahre alt, kräftig, trägt Glatze und in jedem Ohr einen Ring. Sporys war Bäcker in England, Sibirien, in den Vereinigten Staaten von Amerika, in Peru und in Chile. "Wenn ich zu lange hier bleibe, werde ich zu deutsch", sagt er und meint: zu griesgrämig. Pedantisch. Regelverhaftet.

In Berlin backen zurzeit 208 Handwerksbetriebe eigenes Brot. Nikolaus Junker, Geschäftsführer der Bäcker-Innung Berlin, schätzt, dass es in etwa 1.500 Filialen verkauft wird. Kleine Bäckereien hatten es laut Junker in den letzten zehn Jahren zunächst schwer. Erst machten ihnen die "Großfilialisten" mit ihren Massenwaren zu schaffen. Anschließend warben ihnen preisgünstige "Aufbackstationen" die Kunden ab. In den letzten Jahren scheinen sich die Berliner jedoch wieder kleineren Betrieben zuzuwenden. Momentan sehe es gut aus für kleine Handwerksbetriebe, ganz besonders für Bio-Bäckereien, die sehr positive Zuwächse verzeichnen könnten. Eine weitere Bäckerei, in der regionale Spezialitäten verkauft werden, kennt Nikolaus Junker nicht. Die Schwäbische Bäckerei von Oliver Sporys sei in Berlin ein Sonderfall.

Sporys denkt darüber nach, wieder einmal wegzuziehen. Vielleicht nach Andalusien. Weil es dort warm ist. Weil er das Leben in südlichen Ländern für entspannter hält. Weil das Brot dort "miserabel" sei und "die einen Missionar für Brot brauchen". Diese Vision rettet ihn über den nächsten unangemeldeten Kontrollbesuch des Hygieneamtes und über kalte Berliner Wintertage, wenn "kein Mensch die Mundwinkel hochzieht". Die sofortige Abreise kommt allerdings nicht in Frage. Sporys hat eine zweijährige Tochter, und die soll wissen, "was ein Leberwurstbrot mit Gurke zum Frühstück ist. Wenn sie eingeschult ist und schon ein bisschen Kultur mitbekommen hat, können wir darüber nachdenken, auszureisen."

Kultur ist für Sporys in erster Linie Esskultur. Deshalb hat er sich in Berlin mit einer "Schwäbischen Bäckerei" selbstständig gemacht. In vier Verkaufsräumen in der Rungestraße, der Rosenthaler Straße, der Prenzlauer Allee und der Cantianstraße verkauft Sporys seine Brezeln. Das Geschäft mit der regionalen Identität floriert, Sporys hat eine Marktlücke besetzt. Bei ihm bekommt man Brezeln, schwäbischen Apfelkuchen, Bauernrahmkuchen. Außerdem schwäbische Brotsorten wie genetztes Brot. Anfangs war es ein Versuch, "aber dann habe ich schnell gemerkt, dass es der absolute Erfolg ist, tatsächlich kamen jeden Tag Leute vorbei, probierten eine Brezel und fragten: 'Toll, habt ihr auch Seelen?'"

Sein Brot scheint für die Schwaben im Exil ein Heimatfaktor zu sein. Die erfolgreichen, flexiblen Menschen, die willig dem Ruf der Arbeitgeber in die Hauptstadt folgten, sehnen sich zurück nach Hause. Und das ist nun mal da, wo die Mama in der Küche den Rahmkuchen aus dem Backofen zieht. Sie träumen von der Enge der Schwäbischen Alb und des Stuttgarter Kessels und stopfen dann schnell ein Weckle in sich hinein. Sporys bedient diese Sehnsucht sehr professionell.

Er kommt aus Pforzheim, wo die größten stadtinternen Fronten zwischen den Schwaben und den Badenern verlaufen. Hier hat er seine Lehre gemacht und backen gelernt. Ob er wirklich ein Schwabe oder eher ein Badener ist, kann er nicht so genau bestimmen. Auf jeden Fall aber sieht er sich als Süddeutschen. "Es gibt gravierende Unterschiede in der Esskultur zwischen Nord- und Süddeutschland. Wenn ich in Berlin einen Salat bestelle, bekomme ich dazu bestenfalls eine Kanne Essig und eine Kanne Öl. In Schwaben ist schon der Beilagensalat ein vollwertiger Salat. Mit selbstgeschnittenen frischen Radieschen und richtigem Dressing." Er sei ein Genussmensch, sagt Sporys. Das gilt auch für Brot und Brötchen. Qualität und Tradition bei der Nahrungsaufnahme scheinen für ihn die elementare Essenz menschlicher Existenz auszumachen.

In seiner Backstube in der Rungestraße liegen kleine, ungebackene Brezeln auf den Backwägen. Hier herrscht der herbe Duft von Sauerteig. Von einem guten Chef erwartet man, dass er alles selber macht. Sporys erfüllt dieses Klischee, allerdings ungerne. Er steht nicht gern früh auf. Und er hätte lieber mehr Freizeit. Aber er hantiert an den Backwägen und wird dauernd gefragt: "Gibt es noch einen Handschuh?", "Können Sie mal gucken, die Ofentür klemmt!" Wenn er doch endlich einen fähigen Backstubenleiter fände, der seinen Qualitätsansprüchen genüge, seufzt Sporys. Wie gerne gäbe er seine Verantwortung ab. Sagt er zumindestens. Leider ist dieser andere nicht in Sicht. So muss Sporys dableiben, über den Mangel an fähigen Backstubenleitern klagen und das Brot in den Ofen schieben.

Neben den Brezeln, in friedlicher Koexistenz mit ihnen liegt einheimisches Gebäck. "Ostschrippe" steht auf einem Schildchen an einem Korbkasten in der Auslage, darin die hellen Brötchen. "Ich habe mich dem Mythos der Ostschrippe angenommen", stellt Sporys zufrieden fest. Er habe versucht zu verstehen, was die Leute meinten, wenn sie der Ostschrippe nachtrauerten. Dann habe er ein Modell entworfen, das ihren Wünschen entsprach. "Vor allem sollte es sich bis zum nächsten Tag halten."

Sporys backt Brot für alle: Für die Exilschwaben, die Ostberliner und für gesundheitsbewusste Trendsetter. Die nämlich können sich in seinen vier Bäckereien an einer "gesunden Ecke" erfreuen. "Und außerdem", sagt Sporys, "haben wir schon 'Slow Baking' gemacht, als noch keiner wusste, was das ist."

Wäre Sporys nicht selber Bäcker, er hätte nicht gewusst, was er bei seinen langen Auslandsaufenthalten essen sollte. Als besonders traumatisch erlebte er das Brot in den USA. "Man drückt drauf und es kommt zurück." Gescheitert ist Sporys mit seinem Idealismus auch, als er versuchte, den Engländern seine Backkunst nahezubringen. "Irgendwie hat das nicht so gut geklappt. Alle fanden die Idee gut, aber dann hat es keiner gekauft", sagt er. Alleine Brötchen durfte er backen, die "mochte mein Chef, weil sie aussahen wie Popos".

Alle paar Minuten meldet sich die falsch eingestellte Ladenklingel in der Rungestraße, im Verkaufsraum steht eine kleine Schlange bis zur Tür. Momentan sieht es nicht so aus, als würde Sporys dazu kommen, in näherer Zukunft seine Brezeln in der andalusischen Hitze zu backen.

Sporys ist gleichzeitig backender Traditionalist und Globetrotter. In Berlin schwäbische Esskultur zu vermarkten, fordert von ihm Lokalpatriotismus. "Bei uns backt man eben das beste Brot", sagt er. Aber während er die Brote in den Ofen schiebt, sagt er auch: "Ich bin multikulti." Und meint dabei mit Kultur zum ersten Mal nicht nur Essen.

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