Porträt der "medica mondiale"-Gründerin: Die Charismatikerin der Tat
Die Frauenärztin Monika Hauser, Gründerin von "medica mondiale", erhält den Alternativen Nobelpreis für ihre ganzheitliche Betreuung traumatisierter Frauen. Ein Porträt.
"Liebesgeschichte!?" Monika Hauser, 49, regt sich schon am Frühstückstisch auf. Es geht um den Film "Anonyma", der in diesem Monat in deutschen Kinos startet. Erzählt wird die Geschichte einer deutschen Frau, die sich bei Kriegsende in Berlin mit einem sowjetischen Offizier liiert, um nicht weiter vergewaltigt zu werden. In der Presseankündigung ist von "Liebe" die Rede. "Aber das war doch keine Liebesgeschichte, sondern eine Überlebensstrategie", stellt die Frauenärztin klar.
Neben Monika Hauser erhalten drei weitere Frauen in diesem Jahr einen "Alternativen Nobelpreis": Amy Goodman aus den USA, Asha Hagi aus Somalia sowie das indische Ehepaar Krishnammal und Sankaralingam Jagannathan und ihre Organisation Lafti.
Über die Friedensaktivistin und Frauenrechtlerin Asha Hagi aus Somalia sagte die Stiftung, sie erhalte den Preis, "weil sie, trotz großen Risikos für sich selbst, die Mitwirkung von Frauen im Friedensprozess ihres vom Krieg zerrissenen Landes organisiert und anführt".
Die US-Journalistin Amy Goodman wird für ihre politische Aufklärungsarbeit geehrt. Sie ist Gründerin und Moderatorin der täglichen Nachrichtensendung "Democracy Now!" und stehe damit "für die Entwicklung eines innovativen Modells wahrhaft unabhängigen politischen Journalismus, der zu Millionen Menschen jene alternativen Stimmen bringt, die von den Mainstream-Medien so häufig ausgegrenzt werden".
Die Eheleute Jagannathan erhalten einen Preis "für ihre lebenslange Arbeit für die Verwirklichung der gandhischen Vision von sozialer Gerechtigkeit und nachhaltiger menschlicher Entwicklung". Sie hatten 1981 die Organisation Lafti (Land for the Tillers Freedom) gegründet, die es Landlosen erleichtern soll, sich Land zu erschwinglichen Preisen und mit bezahlbaren Bankkrediten zu kaufen.
Der Alternative Nobelpreis wird seit 1980 jährlich verliehen. Gegründet wurde er von dem Deutschschweden Jakob von Uexküll. Am 8. Dezember werden die diesjährigen, mit rund 210.000 Euro dotierten Preise im schwedischen Reichstag verliehen. RW
Der Frühstückstisch steht in einem Hotel, die Gründerin von "medica mondiale" befindet sich auf einer Fachtagung in Bad Honnef. Rund 50 Expertinnen aus fast allen Kriegs- und Krisengebieten der Welt sind "Auf der Suche nach Gerechtigkeit", so der Titel der Tagung. Nun sei es ziemlich genau 15 Jahre her, dass sie ins bosnische Kriegsgebiet aufgebrochen sei, um den vergewaltigten Frauen beizustehen, nun sei es an der Zeit, Bilanz zu ziehen, sagt Monika Hauser in ihrer Eingangsrede. Die Bilanz fällt ernüchternd aus: Nur ein Bruchteil der Überlebenden sexualisierter Kriegsgewalt erfährt später ein wenig Gerechtigkeit - ob in Form einer Verurteilung der Täter, medizinisch-psychologischer Betreuung oder finanzieller Entschädigung.
In vielen Ländern werden Frauen, die durch Soldaten oder Milizionäre oder auch von ihrem eigenen Onkel vergewaltigt werden, aus der Familie ausgestoßen oder gar getötet, um die "Schande" für die Familie zu beseitigen. Nur selten kommt es zu Strafverfahren, und die laufen oft wie eine zweite Vergewaltigung für die Zeuginnen ab. Die meisten der traumatisierten Bosnierinnen, die im UN-Tribunal über sexualisierte Kriegsverbrechen aussagten, würden das nach eigenem Bekunden "nie wieder" tun. Sie hatten sich erniedrigende Fragen nach ihrem sexuellen Vorleben stellen lassen müssen, ihre Sicherheit wurde nicht gewährleistet.
In Bosnien fing für Monika Hauser alles an. Um die Jahreswende 1992/1993 fuhr die Südtirolerin auf eigene Faust ins Kriegsgebiet. Mag sein, dass ihre gemischte Herkunft dabei eine Rolle spielte: Ihre Muttersprache ist deutsch, ihr Pass ist italienisch, aufgewachsen ist sie in der Schweiz, ihre fachärztliche Ausbildung absolvierte sie in einer Essener Klinik. Mag sein, dass die traumatischen Erlebnisse der Großmutter, der Mutter und vieler Südtiroler Bäuerinnen schon die junge Monika hellhörig machten für ihr späteres Lebensthema.
Auf abenteuerlichem Wege gelangte sie nach Zenica. Die Stadt war überfüllt mit Flüchtlingen aus den serbisch besetzten Gebieten, jede zweite Frau war vergewaltigt worden. Während FreundInnen in Deutschland Spenden sammelten, stellte sie ihr Team zusammen: drei Psychologinnen, eine Psychiaterin, zwei Anästhesistinnen, vier Krankenschwestern, eine Erzieherin, eine Sekretärin, eine Hausmeisterin, später auch eine islamische Theologin, die die Frauen seelsorgerisch betreute. Dieses Konzept der integrierten medizinischen und psychosozialen Betreuung, der ganzheitlichen Bemühung um die Heilung zerstörter Körper und Seelen, ist bis heute das typische Merkmal von "medica mondiale". Als weiteres Merkmal zwischenzeitlich noch hinzugekommen ist das politische Lobbying.
Damals aber hatte die Macherin Monika ganz andere Dinge im Kopf: schnell zurück nach Deutschland, Geld besorgen, Medikamente, chirurgische Instrumente, Seife, alles, was man im Krieg nicht oder nur überteuert kaufen kann. Im April 1993 eröffnete sie das Frauentherapiezentrum "Medica Zenica", als gerade erste Granaten im Zentrum explodierten. Die hilflosen UN-Truppen evakuierten alle ausländischen Personen, sie forderten auch Monika Hauser auf, das Land zu verlassen. "Ich bin doch nicht hierher gekommen, um zu gehen, wenn es schwierig ist", reagierte sie wütend. Die Frauen von "Medica Zenica" verehren sie bis heute für diese Haltung.
Das Frauentherapiezetrum ist längst selbständig geworden. Auch das steht in der Charta von "medica mondiale": Lokale Fachfrauen sollen die Projekte so früh wie möglich eigenständig weiterführen. Die Zentren in Kosova und Albanien, die die Organisation nach dem Kosovokrieg 1999 und 2002 aufbaute, stehen ebenfalls auf eigenen Füßen. Auch in Afghanistan, wo nach dem Sturz der Taliban Schutzhäuser, medizinische Versorgung und Rechtsberatungen entstanden, beschäftigt "medica mondiale" so gut wie kein internationales Personal mehr.
In anderen Ländern, zum Beispiel in der Demokratischen Republik Kongo, kooperierte "medica" von vornherein mit lokalen Partnerinnen. Im Ostkongo, nach dem Urteil der UN-Sonderberichterstatterin zu Gewalt gegen Frauen derzeit "der schlimmste Ort der Welt für Frauen und Mädchen", baut die Frauenorganisation "PAIF" mit medica-Hilfe derzeit ein Zentrum und Schutzhaus für etwa 300 Frauen.
PAIF-Gründerin Immaculee Birhaheka macht auf der Tagung in Bad Honnef deutlich, was Milizionäre mit der Kriegswaffe Massenvergewaltigung bezwecken: "Wenn eine Miliz ein bestimmtes Gebiet kontrollieren will, um Rohstoffe auszubeuten, dann werden dort zuerst die Frauen vergewaltigt, um Angst und Schrecken zu verbreiten. Unsere Frauen legen täglich fünf bis zehn Kilometer zurück, um zu ihren Feldern zu gelangen. Auf dem Weg dorthin werden sie vergewaltigt".
Diese grauenhaften Geschichten sind es, die Monika Hauser immer wieder umtreiben. Aber es gibt auch wunderbare Erfolge in der Geschichte ihrer Organisation. Eine davon ist das Gesetz gegen die Verheiratung minderjähriger Mädchen, das "medica mondiale" nach hartnäckiger Lobby-Arbeit in Afghanistan durchsetzen konnte. Eine andere ist die weltweit einmalige Opferrente für vergewaltigte Frauen in Bosnien, für die binnen kurzem 50.000 Unterschriften gesammelt werden konnten.
Das Gesetz ging durch.
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