Porträt Wolfgang Tiefensee: Der einsame Minister
Wolfgang Tiefensee ist in Berlin ein Minister ohne Hausmacht. Kritiker werfen ihm mangelnde Durchsetzungsfähigkeit gegen Bahnchef Mehdorn vor. Der könnte ihn jetzt politisch überleben.
Der Zug scheint einmal mehr abgefahren für Bundesverkehrsminister Wolfgang Tiefensee. Doch noch lächelt er unverdrossen.
Sein Lächeln hat ihn bis ins Berliner Regierungsviertel getragen. Gekoppelt mit einem Hauch von Charisma, das anderen genormten Politkarrieristen spätestens auf ihrer Ochsentour abhanden kommt. Erzkatholisch, musisches Elternhaus, Bausoldat, Ingenieursstudium, Friedensbewegung - aus diesen klassischen Zutaten waren zahlreiche Wendeaktivisten gebacken, die sich allerdings bald auch wieder resigniert in die Nische verzogen. Wolfgang Tiefensee blieb.
Und er blieb wie alle Ossi-Debütanten auf dem politischen Westparkett richtig gut, wenn er von Harmonie getragen war. Als seine größten Erfolge gelten die Großansiedlungen von BMW, Porsche oder DHL in Leipzig, sein "Dona nobis pacem" auf dem Cello zur Leipziger Olympiabewerbung 2004 und seine triumphale Wiederwahl als Oberbürgermeister 2005. Ob Harmoniebedürfnis oder Kalkül, Tiefensees Verweigerung gegenüber dem Lockruf Gerhard Schröders nach Berlin 2002 und gegenüber seiner Landes-SPD als Spitzenkandidat gegen Georg Milbradt 2004 steigerten eher den Respekt vor einem Mann, dem Nibelungentreue zur Stadt Leipzig wichtiger als Karriere schien.
Als er 2005 in seinem 51. Lebensjahr doch nachgab, hinterließ er allerdings auch in Leipzig etliche Baustellen. Im wörtlichen Sinn das Milliardengrab des City-Tunnels, ebenso fast eine Milliarde Schulden, sprichwörtlichen Filz und soziale Probleme. Und er schien das Buch über das berühmte Peter-Prinzip vergessen zu haben, nach dem jedermann genau bis zur Stufe seiner Unfähigkeit aufsteigt. Denn der Baustellen in seinem Bau- und Verkehrsressort wurde er seither kaum noch Herr. Die Bundes-SPD ließ ihn mit seinen Kompromissen zur Bahn-Teilprivatisierung oder beim Tempolimit im Stich.
Kritiker werfen ihm fehlendes Profil und mangelnde Durchsetzungsfähig unter anderem gegen Bahnchef Mehdorn vor. Tiefensee verfügt in Berlin über keine Hausmacht oder Netzwerke. Für die Ost-CDU gibt er wegen gekürzter Straßenbaumittel eine willkommene Dauerzielscheibe ab, Umweltfreunde vermissen eine klare Wasserstraßenpolitik. Rezepte für eine selbst tragende Ost-Wirtschaft hat der Ost-Beauftragte auch nicht, höchstens Placebos wie die "Heimatschachteln" für rückkehrwillige Abwanderer.
Das Scheitern Leipzigs bei der Olympia-Bewerbung passt ins Bild: Der einstige Hoffnungsträger wurde zur unglücklichen Figur. Und in Berlin macht längst das böse Wort vom "Flachwasser" die Runde.
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
„Edgy sein“ im Wahlkampf
Wenn eine Wahl als Tanz am Abgrund verkauft wird
Tabubruch der CDU
Einst eine Partei mit Werten
Denkwürdige Sicherheitskonferenz
Europa braucht jetzt Alternativen zu den USA
Jens Bisky über historische Vergleiche
Wie Weimar ist die Gegenwart?
Jugendliche in Deutschland
Rechtssein zum Dazugehören
Erpressungs-Diplomatie
Wenn der Golf von Mexiko von der Landkarte verschwindet