„Porneia“ in Hamburg: Mit Tradwifes auf Fickmission
Statt ihre Dissertation über Femizide zu schreiben, landet Melli im Olymp: Das Stück „Porneia“ überschreibt sehr lose Aristophanes’ „Lysistrata“.
Über Femizide in der Mythologie und in der Literatur, darüber will Melli eine Doktorarbeit schreiben. Den Titel – „Die Frau und der Tod“ – und ein paar interessante Thesen hat sie schon. Nur ein Doktorvater fehlt. Sie versucht es bei Professor Reitz. Doch der, nur als Softmacho-Stimme vom Technikpult auf der Bühne des Hamburger Thalia-Theaters in der Gaußstraße präsent, nimmt sie nicht ernst.
Er schlägt Werther vor. Wissenschaftliche Ausführungen zum „empfindsamen Mann“ und so, das fände er wichtig und feministisch. Schlimmstes Mansplaining, das ist klar. Ruth Maria Kröger ist als Melli überzeugend sauer.
Sie sucht Verständnis bei ihrer woken Freundin Tricia, gespielt von Diana Marie Müller. Dann wendet sie sich an die Göttinnen: „Schenkt mir eine Welt ohne Männer!“, ruft sie Athene, Aphrodite und Demeter an, die den beiden aufgekratzten Freundinnen prompt Einlass in den Olymp und ein Gespräch gewähren.
Darum ungefähr geht es in „Porneia“, einer nun uraufgeführten, sehr losen Überschreibung von Aristophanes’ „Lysistrata“ von Golda Barton. Golda Barton ist das Pseudonym einer Autorin, die für Film und Theater schreibt. Sie lebt, das kann man in ihrer originellen Biografie nachlesen, „in Pots- und Amsterdam“.
Tschechow im Grunewald
Außerdem behauptet sie, seit 2021 Gastprofessorin an der Internationalen Hochschule für Bikeballet und Balletdesign Istanbul zu sein. Dort bietet sie den Kurs „Fluide Auffangbecken und Beckenböden im patriarchalen Wandel“ an.
Ein paar Theaterklassiker hat Barton bereits humorvoll feministisch überschrieben. Die Handlung von Anton Tschechows „Drei Schwestern“ etwa verlegte sie 2022 in „Sistas!“ in eine Schwarze Familie in Berlin-Grunewald. Mit „Datscha“ versetzte sie 2024 Gorkis „Sommergäste“ ins wochenendhaustaugliche Berliner Umland.
Aktuelle Debatten zu Identität, Klassismus, Klischees und Klimawandel gab’s jeweils inklusive. Bisher hat Bartons Stücke stets Isabelle Redfern inszeniert. Womöglich verbirgt die Regisseurin sich selbst hinter dem Künstlerinnennamen. Auch für die Uraufführung von „Porneia“ zeichnet sie verantwortlich.
Lani Tran-Duc hat drei Hochsitze auf die Bühne gestellt. Einen Thron pro Göttin also, jeweils umgeben von einem Geländer, das wie ein eiernder Hulahoop-Reifen wirkt. Von der Decke hängen ein paar Stäbe. Meist leuchten sie in grellem Pink. Im Hintergrund feiern kunstvolle Videoaufnahmen organische, Vulva-ähnliche Formen.
Sehr, sehr viel Gerede
Davor thronen Aphrodite, Demeter und Athene. Sie sollten über die Ordnung der Welt wachen. Doch Oda Thormeyer ertrinkt als Demeter in Haushaltspflichten und denkt in jeder freien Minute ans Vögeln – sie ist ja die Fruchtbarkeitsgöttin. Nina Sarita Balthasar verteilt gemäß ihrer Rolle als Aphrodite ununterbrochen Liebesgedichte.
Und Athene, die Göttin des Kampfes und der Künste, versucht zu zaubern, ist aber meist mit Gitarre und Gesang beschäftigt: Die Musik hat Darstellerin Riah Knight auch selbst komponiert. Zwischen den Thronen taumelt planlos Jannik Hinsch als ein als Liebhaber gecasteter Enrico.
In dieses Setting geraten Melli und Tricia mit ihren Wünschen nach einem verständnisvollen Doktorvater und dem Weltfrieden. Statt deren Erfüllung folgen Texte über Sexgelüste, Wäscheberge und Hitzewallungen, weil rhetorisch versierte Gen Z-Vertreterinnen auf drei Göttinnen treffen, die sich als von Mariam Sow in Cos-Play-Kostüme gewandete Tradwifes erweisen.
Porneia von Golda Barton frei nach Aristophanes, Thalia in der Gaußstraße, Hamburg. Nächste Aufführungen am 11. und 15. 12., 20 Uhr sowie am 14. 12., 19 Uhr.
Es werden schlaue Vorträge über die Herkunft des Lorbeerkranzes gehalten, antike Mythen dekonstruiert und Fans von VfL Bochum als empfindsame Männerseelen charakterisiert und für Heterosex auch mal ein göttlicher Ausflug auf die Erde unternommen. Da wird viel, sehr viel, sehr sehr viel geredet, über Männer und Frauen, Koitus, Grausamkeiten, Stalker, einsame Wölfe, Femizide, verstaubte Rollen und griechische Chöre.
Gruppentanz im Thesengewitter
„Porneia“ ist ein Text voller Thesen und – leider nur selten – witzigen Reimen. Es ist vor allem ein Text, wie getrieben von der Angst, irgendeine der tagesaktuellen feministischen Debatten und Nicht-Debatten, der gesellschaftlichen Rassismus- und Gender-Diskurse, der möglichen Haltungen und Statements auszulassen.
Für die Schauspieler*innen, die ihre Sache allesamt und im Schnellsprech ziemlich gut machen, ist das eine Herausforderung. Fürs Publikum ein frontales, recht sprunghaftes Themen- und Thesengewitter auf Speed. Das wird regelmäßig von unvermittelten Figurenabgängen oder von anlasslosen Gruppentänzchen unterbrochen, die Ute Pliestermann choreografiert hat.
Die Regisseurin sah offenbar keinerlei Anlass, den Text zu pointieren oder gar spannungsvoll zu theatralisieren. Bleibende Atmosphären oder starke Bilder stellen sich in diesem hektisch sprudelnden Diskursbad nicht ein.
So endet der Abend irgendwann irgendwo zwischen Fickmission, blühenden Landschaften und Männern, die in Eichen verwandelt werden: Er hat sowohl den Erkenntnisgewinn als auch den Unterhaltungswert einer Baumrinde.
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