Pop, komm raus...: Starke Partner!
■ Pop & Politik: Pornophantasien eines restreflexiven Messekorrespondenten
Lucky Lueg! Als mittlerweile emeritierter, silberfuchsiger Vertreter einer Generation, die noch irgendwie den Krieg mitgemacht hat, ist der Mann mit dem schon nicht mehr wahren Vornamen Ernst-Dieter einer der ganz, ganz wenigen auf der Popkomm, die popkonjunkturell aus dem Schneider sind – die Gnade der frühen Geburt sozusagen –, weshalb er vor reichlich bunten Hunden (im Publikum) und grauen Mäusen (auf dem Podium) befreit aufmoderieren kann.
„Nicht nur Hamburger Nächte sind lang, sondern auch Kölner“, geht er das medial aufgeheizte Thema „Pop und Politik – zwischen Jugendkult und Staatsverdrossenheit“ (siehe taz vom 14.8.) in öffentlich-rechtlicher Bericht-aus-Bonn-Manier proportional von hinten durch die Brust ins Auge an, sorgt damit für kurzfristige Irritation bei den videoclipverdorbenen Jüngeren, versteht es aber alsbald, alle durch anschauliche Metaphern auf seine Seite zu bringen. Eine „unzulängliche Beziehungskiste“ hätten Pop und Politik bislang abgegeben, auf einem gemeinsamen Weg, ohne sich als wechselseitige Geschlechtspartner wahrzunehmen. Kohl und Glamour – das sei eben ein Shakehands mit Udo Jürgens auf einer Gala zugunsten der Polenhilfe gewesen.
Gegen diese Intro wirkt alles blaß, was die auf dem Podium versammelten Volks- und Medienvertreter zu bieten haben: der knochenstaubtrockene NRW-Mittelstandsmininster Wolfgang Clement mit seinem Aufruf an die Popmusik, sich endlich „als Dienstleister zur Verfügung zu stellen“; der hähnchenbraune Warner Bruder Gerd Gebhardt, der es nicht einsieht, länger „als Popfuzzi rumzulaufen“, für 180.000 subventionsfrei von der Phonoindustrie geschaffene Arbeitsplätze „geliebt werden“ will; die Westerwelle, die auch live dermaßen FDP-fuzzihaft rüberkommt, daß sie von Lueg mit Leichtigkeit in Spitting-Image- Manier abgebasht werden kann; der CDU-Mann Christian Wulff schließlich, der die Diskussion auf die wirtschaftlichen Eckdaten runterzieht und den momentanen Boom einheimischer Popmusik auch urheberrechtlich (Internet!) und standortmäßig (Deutschland!) sichergestellt sehen will. Will sagen: Pop für die Welt, aber die Tantiemen bleiben hier!
Das ist der wirtschaftlich- rechtliche Kern der Sache, wie er seit Jahren auf der Popkomm verhandelt wird. Allein: Die Volksvertretergarde, die Pop als deutsche Nationalkultur auch nach außen hin zu repräsentieren imstande wäre, sitzt da (noch) nicht beisammen. Schröder, der sich für das EMI- Medienforum am Vorabend angesagt hatte, kniff im letzten Moment unter Angabe „unaufschiebbarer Termine“, dem Rest fehlt einfach die Rockin' Pneumonia, die Boogie Woogie Flu, der Shot of Rhythm 'n' Blues oder gar neuerer Body politics. „Politik hat ein Kommunikationsproblem“, spricht Dieter Gorny den Punkt an.
Aber sieht denn keiner, daß auch von der Ur-Old School des Politentertainments noch etwas zu lernen ist? „Herr Gorny, ich komm' da nicht dazwischen“, quengelt Lueg, schlägt mit links ganz leicht den Schaum von der Rhetorik, hält mit dem Spielbein die Westerwelle auf Distanz und ist noch souverän genug, ein Bonmot über Wirtschaft, Tourismus und Eheprobleme aufs Tapet zu bringen. Lueg stiehlt den anderen die Show, indem er den alten Politfrühschoppenton anschlägt, jene Mischung aus spielerischer Herausforderung, weltmännischer Utopie und intimer Vertrautheit mit dem Volksvertreterkörper, von der man sich vorstellt, sie sei im alten Bonn bei Brezeln, Bier und gemeinsamen Puffbesuchen entstanden.
Die Frage lautet an dieser Stelle natürlich, warum Popkomm-Berichterstattung immer so leicht bei Pornophantasien landet. Es muß etwas mit dem Restreflex eines Widerstands zu tun haben, der die Promiskuität der Branche, das immer entschiedenere, immer reibungsfreiere Zusammengehen von Wirtschaft, Politik, Sport und Entertainment im Namen eines allumfassenden POP, noch bei einer „Wurzel im Geschlechtlichen“ (Adorno) zu fassen bekommen will, welche die Versachlichung der ganzen Prozesse zugleich als überholt erscheinen läßt. Anders ausgedrückt: Wenn man gleich im Anschluß an das „Politik & Pop“-Panel die Pressekonferenz zur „Volkswagen Sound Foundation“ besucht, wo überdimensionale Videoschirme harmlose VW-Bullis präsentieren, als wären es Models am Strand von Miami Beach, dazu eine Marlboro-Mann-Stimme von einer „starken Idee mit starken Partnern“ schwärmt, fragt man sich unwillkürlich, wer hier eigentlich wen fickt. Dann wischt man sich die Augen, und auf dem Podium stehen doch nur wieder Gorny und die ewig gleichen Kapitäne der Phonoindustrie, die sich gegenseitig die Schuppen vom Revers klopfen für den gelungenen Coup, Imagewerbung für VW als rockfördernden Dienst am jungen Menschen zu deklarieren. Der junge Mensch, vertreten durch die Osnabrücker Band Doc. Vox, legt ein flottes Akustikset hin und streckt sich artig nach der Decke.
Böser Traum in der Nacht: Das alte und das neue Pop- Deutschland kommen als Band- Allegorie einhergeritten. Das alte hört auf den Namen „Walter Spahrbier & The Polenpakete“ und ist im Grunde seines Herzens ein harmloser Troll. Gerade als das neue sich umdreht, um sein wahres Wesen zu zeigen, schweißgebadetes Erwachen. Popkomm 97: Der Schlaf der Vernunft gebiert Ungeheuer. Der Wachzustand gelegentlich auch. Thomas Groß
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