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Pop, komm raus...Boredom Busters For The Busy

■ Erstmals gibt es parallel zur Popkomm eine Wortkomm. Bücher zum Hören boomen

Popkomm treibt einen weiteren Ableger. Mit der parallel veranstalteten Wortkomm stellt die Tonträgerbranche zum ersten Mal eine Messe für Hörbücher auf die Beine. Der Münchener Branchenprimus HörVerlag schreibt zweistellige Wachstumszahlen, und seine Konkurrenten tun es ihm gleich. Verlage wie Lübbe oder Hoffmann und Campe testen das neue Medium mit vertonten Bestsellertiteln, und in der buntscheckigen Kleinverlagsszene scheint die Entwicklung Blütenträume reifen zu lassen.

Was vor zehn Jahren noch als hoffnungslos verstaubt galt und bestenfalls den bildungsbürgerlichen Bühnenton der Generation Benno von Wieses konservierte, hat im Zuge der Diskussion um die neuen Medien einen radikalen Imagewandel erfahren. Der unscheinbare Klapperkasten mit Wortkassette ist der schmuckvoll illustrierten Doppelbox gewichen, selbst wenn zum Inhalt nur ein einziges Tape gehört oder die CD. Hörbücher werden als Hochwertprodukte präsentiert, trendy als „Audio Books“ deklariert, aus den Ladennischen geholt und mit dem Siegel des Zeitgemäßen versehen. Seitdem läuft das Geschäft, denn Marketing – so lehrt die Marktwirtschaft – ist der halbe Gewinn.

Der Trend zum Hörbuch beruht allerdings nicht allein auf geschickten Werbestrategien. Jan Paterson, der die „BBC Radio Collection“ zum Marktführer in Großbritannien machte, spricht von Hörbüchern als „boredom busters for the busy“: Sie werden gehört während nervtötend langweiliger Beschäftigungen. Diese Einschätzung wird von einer Studie der Stuttgarter Hochschule für Bibliotheks- und Informationswesen untermauert. Es sind längst nicht mehr vornehmlich ältere Leute, die zur Stereoanlage gehen, wenn ihnen der Sinn nach Lektüre steht. Die Studenten der Walkman-Generation nutzen die Möglichkeit, Seminartexte zu hören. Geschäftsleute schieben Wortkassetten ins Autoradio, um fahrend zu kompensieren, was ihnen im Karrierestreß an Lesezeit fehlt. Und für die große Gruppe aktiver, gebildeter Frauen machen Hörbücher den Haushaltstriathlon von Kochen, Putzen und Bügeln erträglich.

Über allem aber schwebt der Geist der Unterhaltung und der Mode. Literatur zu hören hat mittlerweile den Reiz des Neuen. Es wirkt weniger zwanghaft als der schulmeisterlich verordnete Blick ins Buch. Es ist näher an populären Rezeptionsformen der Medienkultur, und so entpuppt sich die Koppelung von Wortkomm und Popkomm als durchaus sinnfällig. Es gilt, Jugend zu zeigen oder eine Generation von Käufern zu gewinnen, denen die Kulturpessimisten jegliches Gefühl für Literatur längst abgesprochen hatten. Angesichts der Popularität von Poetry Slams und des wiedererwachten Interesses an anspruchsvoller Literatur, wie es von Hörspielmachern registriert wird (Wolfgang Schmitz, der Leiter von WDR 5, schätzt die durchschnittliche Zahl der Zuhörer auf 500.000), sind die Verlage denn auch hoffnungsfroh.

Es wundert auch nicht, daß ständig neue Produzenten hinzukommen. Das Nischendasein des Mediums im Buchhandel sprach vor allem Enthusiasten an, kaum aber die Profitorientierten. Verlage wie die Hamburger voices editionen, 1997 mit nur vier Produktionen gegründet, hoffen im Sog des erwachenden Käuferinteresses hohen Anspruch mit Aufmerksamkeit vergolten zu bekommen. In diesem Herbst werden gleich acht Hörbücher veröffentlicht. Darunter Highlights zeitgenössischer Literatur wie Harold Brodkeys „Die Geschichte meines Todes“ oder eine musikalisch-sprachliche Umsetzung von Anne Sextons „Verwandlungen“.

Kleinverleger, die ihr literarisches Angebot im Zuge des erwarteten Umsatzanstieges erweitern oder für den Unternehmensstart nutzen, gibt es eine ganze Reihe. Michael Köhler vertreibt in der Edition-S-Press Originalton-Aufnahmen von Dichtern der Beat Generation. Seit dem Frühjahr arbeitet er an einem Projekt, die Dichtung des Beat und dessen Ausgreifen in die gegenwärtige US-amerikanische Lyrikszene in ihrer Gesamtheit zu präsentieren, was den Nebeneffekt hat, daß nun auch rare Aufnahmen wie Allen Ginsbergs „Howl“-Lesung während seines Auftritts in Wuppertal 1980 zu haben sind.

Ab Oktober geht Tympano- Audioproductions an den Start. Intention des Unternehmens: in Kooperation mit Autoren und Literaturverlagen Hörstücke zu produzieren, in denen das erzählerische Potential von Musik mit den musikalischen Elementen der Erzählung in Wechselwirkung tritt. Die erste Produktion dieser Art, „Goethes Garten“, kombiniert Texte aus „Die Metamorphose der Pflanzen“, Briefpassagen und Tagebucheintragungen mit Kompositionen sowie realen und komponierten Geräuschkulissen aus dem Weimarer Garten des Dichters zu einer Art akustischem Film.

Auf der Wortkomm werden Fragen der literarischen Qualität von Hörbüchern wohl zweitrangig sein. Das Messeprogramm konzentriert sich auf Vermarktungsprobleme und die Diskussion von Rechten. Letztlich aber wird der Erfolg oder Mißerfolg des Popkomm- Ablegers Einfluß haben auf das „Selbstbewußtsein“ der Hörbuchverlage und indirekt auch auf das öffentliche Interesse am Medium Hörbuch. Thomas Krüger

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