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Polnische Migranten in RotterdamIrgendwo bei Gouda

Das neu eröffnete Flexhotel in Rotterdam beherbergt nur polnische Migranten. Es geht um gute Wohnverhältnisse – und den Kampf gegen Vorurteile.

Er hatte die Geschäftsidee: Johan Roorda in einem gerade unbewohnten Zimmer seines Hotels Bild: Alexander Stein

ROTTERDAM taz | Zufriedene Hausmeister – das ist wohl ein gutes Zeichen. Die Frühschicht ist schon aus dem Haus, die Spätschicht schläft noch oder isst gerade. Zeit zum Durchatmen. Die Ruhe des Mittags liegt über dem fast leeren Foyer. Wie sind die ersten Wochen gelaufen? Magdalena Szerszynska und Darek Haska schauen sich an, lächelnd. „Besser als ich erwartet habe“, sagt sie. Er erklärt: „Bisher gab es keine Probleme. Die Atmosphäre ist gut, und niemand hat sich beschwert.“

Eigentlich sind Darek Haska und Magdalena Szerszynska nicht nur Hausmeister im Flexhotel Zuiderpark, einem verschachtelten Gebäudekomplex aus grauem Backstein tief im Süden Rotterdams. Sie teilen sich auch die Arbeit in dem großen Glaskasten, der die Rezeption beherbergt. Beantworten Fragen, verleihen Staubsauger oder sagen den Neuen, in welchem Zimmer sie den Autobesitzer finden, der sie am nächsten Tag mit zur Arbeit nimmt. Ganz schön viel zu tun, bei 271 Bewohnern. 271 meist junge Zeitarbeiter, von denen manche vier Wochen bleiben, andere länger als ein halbes Jahr.

„Polenhotel“ wird das Hotel genannt, weil alle Gäste aus Polen kommen. Sie arbeiten für die Zeitarbeitsfirma Tempo Team, die in ganz Polen Personal anwirbt. Als das Hotel Anfang Januar eröffnete, war es sofort voll belegt. Für Magdalena Szerszynska und Darek Haska, beide Ende 20 und schon lange in den Niederlanden, bedeutet das Hotel: eine Festanstellung und ein kleines Appartement im Gebäude. Dafür müssen sie rund um die Uhr erreichbar sein. Ihre Handynummern kleben an der Scheibe der Rezeption, neben den Prospekten eines polnischen Supermarkts und des Schönheitssalons von „Nagelstylistin Dorota“.

Die Welt der Zeitkontrakte und Leihfirmen haben sie hinter sich gelassen. Aber nicht ganz, die Erfahrung der letzten Jahre steckt ihnen in den Knochen. Mit Erleichterung sprechen sie über die ersten Wochen in ihrem neuen Job. Wenn Darek Haska sagt, die Bewohner sollten sich wohlfühlen, ist das nicht alles. „Das Wichtigste ist für uns“, erklärt Magdalena Szerszynska und schaut jetzt ernst, „den Niederländern zu zeigen, dass die Polen nicht so schlecht sind, wie sie denken.“ Magdalena Szerszynska und Darek Haska haben Angst, dass ihre Landsleute die Klischees und Vorurteile der Niederländer bestätigen könnten: Polen, die saufen. Polen, die klauen. Darum wirkt das Hausmeisterpärchen mitunter wie Bewährungshelfer, deren Klienten nicht rückfällig werden dürfen.

Polen in den Niederlanden

Zustrom: Geschätzt leben rund 150.000 Polen im Land, etwa die Hälfte sind registriert. Die Zahl schwankt saisonabhängig, der Höhepunkt liegt in der Erntezeit. Seit dem EU-Beitritt 2004 kommen deutlich mehr Polen. 2007 entfielen die Arbeitsmarktbeschränkungen (in Deutschland erst 2011).

Rotterdam: Eine der Städte mit den meisten polnischen Bewohnern. In der Nähe liegt eine der größten Gewächshaus-Agglomerationen der Welt. Die dichtbesiedelte Provinz Südholland bietet auch Arbeitsplätze in Fabriken, Bau oder Distribution. Die Mehrheit der 30.000 bis 50.000 Arbeitsmigranten in Rotterdam kommt aus Polen.

Klischees: Die Angst vor Jobverlust durch polnische Konkurrenz (zuletzt auch durch Bulgaren und Rumänen) wird häufig von rassistischen Stereotypen überlagert. Die rechtspopulistische Freiheitspartei rief 2012 dazu auf, Klagen über Osteuropäer bei einer Online-"Meldestelle" zu äußern. (tm)

Neues Marktsegment

Der Mann, der sich das mit dem Hotel ausgedacht hat, sitzt an einem kleinen Tisch in einem zugigen Gang hinter der Lobby. „Dzien dobry“, grüsst Johan Roorda ein paar vorbeilaufende Hausbewohner. Je mehr Arbeitsmigranten aus Osteuropa in den letzten Jahren in die Niederlande kamen, desto dringlicher stellte sich die Frage, wie man sie unterbringt. Der Immobilienhändler Johan Roorda, 29 Jahre alt, mit seinen Jeans, dickem Pulli und zurückgegeltem Haar kaum von den Arbeitern zu unterscheiden, spezialisierte sich auf dieses Marktsegment. Im Osten der Niederlande betreibt er ein noch größeres Hotel für polnische „Flexwerker“, wie man sie hier nennt. Zeitarbeiter, flexible Menschen. Auch Roorda ist flexibel. In einer anderen Sammelunterkunft beherbergte Roorda einst Zeitarbeiter aus Ostdeutschland.

Der Jungunternehmer hält darauf, dass es in seinem Flexhotel „anständig“ zugeht. Saubere Zweibettzimmer, für die die Zeitarbeitsfirma pro Person jede Woche zwischen 55 und 75 Euro vom Lohn einbehält und ihm und seinen drei Partnern überweist. „Ich habe die unmöglichsten Orte gesehen“, sagt er und erzählt: von einem alten Bauernhof, auf dem statt einer Familie 20 Arbeitsmigranten untergebracht waren. Von zehn Saisonkräften, die sich einen kleinen Bungalow teilten. Oder einer Stadtwohnung, deren Betten von Fabrikarbeitern umschichtig benutzt wurden. Huisjesmelkers, nennt man diese Ausbeuter auf niederländisch. Häuschenmelker. Roorda sagt das Wort voller Verachtung.

Dann nimmt er den Generalschlüssel und geht los. Durch einen Gemeinschaftsraum mit Bar, dahinter ein Fitnessraum, neu eingerichtet. Der PVC-Boden in den Gängen ist eine Reminiszenz an das Asylbewerberheim, das hier bis 2011 untergebracht war. An das Vier-Sterne-Hotel aus den 1990ern erinnert dagegen nichts mehr. Dafür gibt es auf jeder Etage große Gemeinschaftsküchen und Gratis-Waschsalons. Dann schließt Johan Roorda das letzte freie Zimmer auf: 25 Quadratmeter inklusive Bad. Zwei Betten, TV, ein Tisch und zwei Stühle, Essgarnitur, Kühlschrank.

Wohngebiete „entlasten“ will der Ratsherr

Roordas politischer Partner sitzt im Stadthaus von Rotterdam: Ratsherr Hamit Karakus, zu dessen Portfolio nicht nur Soziales und Wohnen gehören, sondern auch alles, was mit Arbeitsmigranten aus Mittel- und Osteuropa zu tun hat. Karakus ist Sozialdemokrat, Ende 40, selbst Sohn einer türkischen Gastarbeiterfamilie. Als das Hotel eröffnet wurde, entkorkte er eine Sektflasche – vielleicht, weil sich die Stadt damit gleich zwei heikler Themen entledigen könnte. Ka

rakus spricht von der Verantwortung der Arbeitgeber für „ordentliche Unterkünfte“, und dass Arbeitsmigranten nicht durch hohe Mieten oder niedrige Löhne ausgebeutet werden dürfen. „Darum arbeiten wir mit dem Flexhotel zusammen.“ Finanzielle Unterstützung für das Flexhotel gibt es jedoch von der Stadt nicht. Man möchte das Projekt gerne als Vorbild propagieren.

Doch da ist noch ein anderer Grund: Karakus sagt, die Städte waren auf die vielen Osteuropäer nicht vorbereitet. Darum will er manche Wohngegenden „entlasten“. Die, wo es Beschwerden über Lärm gibt, über all die Autos mit weißen Kennzeichen und PL-Aufklebern, über Parkplatzmangel. Er weiß, solche Klagen gehen oft fließend in einen Abwehrreflex über, der osteuropäische Arbeitsmigranten pauschal als overlast („Belästigung“) bezeichnet. Hamit Karakus ist vorsichtig – im März sind Kommunalwahlen. „Die Rotterdamer diskriminieren nicht“, sagt er. Und nuanciert dann: „Es ist klar, dass eine überbelegte Wohnung zu Parkplatzproblemen führt, und dass es im Treppenhaus laut ist. Aber für Belästigung sorgen die Umstände, nicht die Leute an sich.“

Im Flexhotel hat sich nun eine Schlange vor dem Beratungsbüro der Zeitarbeitsfirma gebildet. Es gibt Fragen, Formulare müssen ausgefüllt werden. Eine junge Frau kauert in einem Sessel, die Arme um die Knie geschlagen. Manuela, die ihren Nachnamen lieber für sich behält, schafft in der Frühschicht im Lager der Textilfirma Warnaco. 220 Euro bekommt sie dafür in der Woche, 270, wenn sie die Spätschicht übernimmt. Zum dritten Mal ist Manuela in den Niederlanden. Lieber wäre sie in Polen, doch da findet sie keine Arbeit. Draußen vor dem Fenster bricht die Dämmerung ein.

Die Käserasierer

Ein Stockwerk höher lockt der Geruch von Fisch und gebratenem Gemüse in die Gemeinschaftsküche. Am Herd stehen zwei junge Männer. Krzysztof Galicki, kurzes Stoppelhaar und Brille, und Kamil Falbowski, ein dürrer Vollbartträger mit Mütze. Im Hotel fühlen sie sich wohl. „Mehr Privatsphäre“, sagt Kamil Falbowski. Bei seinem letzten Einsatz wohnte er zu sechst in einem kleinen Ferienbungalow. Und die Arbeit? Falbowski lacht. „Wir rasieren Käse“, sagt er. Sein Kollege zeigt ein Handyvideo : ein riesiger Käselaib, ein blauer Handschuh mit einem Schleifgerät erscheint im Bild. Martialisches Kreischen setzt ein, und die Rindenstücke spritzen.

Die Fabrik liegt „irgendwo bei Gouda“. Dass der Käse von dort berühmt ist, hört Kamil Falbowski zum ersten Mal. „Da bin ich aber stolz!“, spottet er. Die Arbeit sei hart, aber man gewöhne sich dran. „Ich habe meinen Mp3 dabei und spiele Punk über Kopfhörer. Ich hoffe, die merken es nicht.“ Zur Zeit sind beide in der Nachtschicht, was ihnen 320 Euro pro Woche einbringt. „Besser als in Polen“, sagt Falbowski, der sein Philologiestudium früh schmiss und dann ein paar Jahre in Wroclaw in einer Bank arbeitete. Bis Mai bleibt er in Rotterdam, danach will er reisen. Montenegro, Albanien, Griechenland.

Wenig später wird es still im Flexhotel. Nur im Fitnessraum machen noch drei Männer Zirkeltraining. Nebenan in der Bar sind die letzten Billardspieler verschwunden. Manuela schläft, in ein paar Stunden geht ihr Wecker. Kamil Falbwoski und Krysztof Galicki werden gleich zur Nachtschicht aufbrechen. Nicht eine Person ist zu sehen, die ein Bier trinkt. Oder gar Wodka. Das ist ganz nach dem Geschmack von Darek Haska, der im Glaskasten an der Rezeption sitzt und Wache hält. Und hofft, dass die Niederländer die Polen irgendwann doch noch mögen.

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