Polizeistaat in Kreuzberg: Erst anmelden, dann Kaffee trinken!
Wer sich im Café verabredet, sollte das vorher bei der Polizei anmelden. Ansonsten kann das Treffen als Versammlung aufgelöst werden - so geschehen in Berlin-Kreuzberg.
Keine Verabredung ohne den Segen der Polizei: Wer sich mit Freunden oder Bekannten im Café trifft, sollte das vorher anmelden. Ansonsten läuft man Gefahr, dass die Runde ruck, zuck aufgelöst wird - als unangemeldete Versammlung.
Frist: 48 Stunden vor Beginn der Versammlung müssen Sie diese ordnungsgemäß bei der Versammlungsbehörde angemeldet haben. Nutzen Sie dafür das "Anmeldeformular für Versammlungen und Aufzüge" der Polizei, das Sie unkompliziert online ausfüllen können.
Spontanes Kaffeetrinken: Auch spontane Versammlungen müssen Sie bei der Polizei anmelden. Sie müssen dann allerdings angeben, welchen tagesaktuellen Anlass es für das Treffen gab. Sie müssen dies unbedingt glaubwürdig darlegen. Denn es kann ja nicht sein, dass man einfach so die 48-Stunden-Frist unterlaufen kann!
Versammlung: Die Anmeldepflicht gilt für jede "Versammlung". Damit sind eigentlich klassische Demos gemeint, es gibt aber keine klaren Kriterien. Jeder Polizist entscheidet im Einzelfall. Um Ärger zu vermeiden, sollten Sie besser jedes Treffen mit Freunden unter freiem Himmel vorher anmelden. Ist ja auch kostenlos! HEI
So offenbar geschehen am Freitag in Kreuzberg: 17 Studierende aus Berlin und Spanien trafen sich nach Angaben des AStA der FU abends im Café Simitdchi in der Adalbertstraße, um mit Journalisten über die im Juni geplanten Bildungsstreiks zu sprechen.
Zu den Pressevertretern zählte Björn Kietzmann von der Jungen Welt. Er berichtet, dass die Gruppe draußen gesessen und auf einen letzten Teilnehmer gewartet habe, als plötzlich ein Dutzend behelmter Polizisten die Tische umstellte. Die etwa 100 Beamten hätten verboten zu telefonieren und zu fotografieren. "Alle Anwesenden wurden einzeln abgeführt und in den Fahrzeugen durchsucht." Auch ihre Personalien seien aufgenommen worden.
Ein Mitarbeiter des Cafés Simitdchi bestätigt die Schilderung weitgehend. "Die haben sich was zu trinken, Tee oder so, gekauft und draußen vor den Laden gesetzt", erzählt Yasin Selcuk. Einer habe eine rote Fahne dabeigehabt, sonst sei ihm nichts aufgefallen. Keiner habe politische Sprüche gerufen oder Transparente entfaltet. Zehn Minuten später sei die Polizei gekommen und habe die Leute zur Ausweiskontrolle mitgenommen.
Was sollte dieses harte Durchgreifen? Die Pressestelle der Polizei sagt, im Rahmen einer Streifenfahrt seien den Beamten rund 20 Personen am Kottbusser Tor aufgefallen. Der Einsatz habe nicht im Café, sondern "im Bereich der Freitreppe" stattgefunden. Die Polizisten seien von einer "nicht angemeldeten Versammlung" ausgegangen. Sie hätten die Teilnehmer überprüft und Platzverweise ausgesprochen. Ein Taschenmesser, zwei Sturmhauben und eine Fahne seien sichergestellt worden.
"Wir verurteilen diesen Angriff auf politisch engagierte Studierende und auf die Pressefreiheit aus Schärfste", erklärte das Team der Bildungsstreiks am Dienstag. Die eingesetzten Mittel seien "in höchstem Maße unverhältnismäßig" gewesen.
Der innenpolitische Sprecher der Grünen, Benedikt Lux, sieht das ähnlich. Er frage sich, ob nicht politische Motive hinter dem Einsatz stünden. "Auch über eine radikale Kritik am Bildungssystem muss man sich auf öffentlichem Straßenland unterhalten können", sagte Lux. Selbst wenn es sich um eine Versammlung gehandelt habe, sei das kein Grund, das Treffen sofort aufzulösen. "Die Polizei hätte das einfach dulden können."
Lux will Innensenator Ehrhart Körting (SPD) bei der nächsten Sitzung des Innenausschusses am Montag auf den Vorfall ansprechen. Auch der innenpolitische Sprecher der SPD, Thomas Kleineidam, kündigte an: "Wenn sich das so abgespielt hat, wie die Studenten berichten, werde ich da noch mal nachhaken."
Die Deutsche Journalistinnen- und Journalisten-Union (dju) verurteilte das Vorgehen der Beamten mit deutlichen Worten. "Die Begründung, es habe sich um eine unangemeldete Versammlung gehandelt, ist einfach nur absurd", erklärte Andreas Köhn, stellvertretender Landesbezirksleiter von Ver.di im Namen der dju. Er gehe davon aus, dass sich die Berliner Polizei an die deutschen Gesetze halte. "Situationen wie diese erwartet man eigentlich in südamerikanischen Polizeistaaten."
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Utøya-Attentäter vor Gericht
Breivik beantragt Entlassung
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Böllerverbot für Mensch und Tier
Verbände gegen KrachZischBumm
Entlassene grüne Ministerin Nonnemacher
„Die Eskalation zeichnete sich ab“
Repression gegen die linke Szene
Angst als politisches Kalkül