Polizeirecht: Bis auf die Unterwäsche gefilzt
Der Senat will die Polizei-Befugnisse ausweiten: Leibesvisitationen ohne konkreten Anlass sollen möglich werden. Die Linkspartei stellt Gegenmodell vor.
Das Polizeirecht in Hamburg steht derzeit auf dem Prüfstand - so verlangt es das Bundesverfassungsgericht. Nach den Gesetzesentwürfen des SPD-Senats reicht Dienstag auch die Linkspartei alternative Gesetzesnovellen zur Reform des Sicherheits und Ordnungsgesetzes (SOG) sowie des Gesetzes zur Datenverarbeitung bei der Polizei (PolDVG) in die Bürgerschaft ein.
"Die SPD-Gesetzesentwürfe erfüllen den Anforderungen einer dringend notwendigen Reform des Polizeirechts nicht", sagt die innenpolitische Sprecherin der Linkspartei, Christiane Schneider. "Wir setzen uns vor dem Hintergrund ausufernder Überwachung und immer neuer Schnüffel-Instrumente für die Stärkung der Grundrechte ein."
Der CDU-Senat hatte 2005 - wie er es nannte - das "schärfste Polizeigesetz Deutschlands" verabschiedet. Darin sind Polizeibefugnisse ausgebaut und die Bürgerrechte drastisch beschnitten worden. Das Bundesverfassungsgericht hat mittlerweile in Beschlüssen wesentliche Teile des Gesetzes de facto für verfassungswidrig erklärt. Vor allem was den "privaten Kernbereich" betrifft, setzt das Gericht absolute Schranken. Die Gesetzentwürfe des SPD-Senats indes würden nur Details des SOG und PolDVG korrigieren, sagt Schneider. "Die bisherige Linie wird bei der Novellierung fortgesetzt, teilweise sogar verschärft."
Mit ihrem Gesetzentwurf möchte die Linkspartei im Polizeirecht die Grundrechte der Bürger gegenüber der Polizei wieder stärken. Ihre Forderungen:
Individuelle Kennzeichnungspflicht von Polizisten, damit polizeiliches Handeln von Gerichten kontrolliert werden kann.
Verdeckte Ermittlungen sollen durch einen Kontrollausschuss der Bürgerschaft überprüft werden.
Verdachtsunabhängige Kontrollen bestimmter Zielgruppen oder Durchsuchungen in Waffenverbotszonen sind zu unterlassen.
Der Einsatz verdeckter Ermittler wird aus dem Gesetz gestrichen.
So streben die Sozialdemokraten an, dass die Polizei in Waffenverbotszonen nicht nur wie in Gefahrengebieten verdachtsunabhängige Personenkontrollen durchführen, sondern auch Leibesvisitationen vornehmen darf. Im Klartext: Auf der Reeperbahn kann jeder, den die Polizei als verdächtigt einstuft, nicht nur in die Tasche geguckt, sondern bis auf die Unterwäsche gefilzt werden. Zur allgemeinen Praxis sollen bei Verkehrskontrollen Kennzeichen-Lesegeräte zur "Eigensicherung" und zur "Verhütung von Anschluss-Straftaten" eingesetzt werden. Das wurde in einer Expertenrunde im Innenausschusses der Bürgerschaft kritisiert: "Wozu braucht die Polizei so etwas?", fragt Jura-Professor Hartmut Aden von der Hochschule für Wirtschaft und Recht in Berlin.
Auch die Videoüberwachung soll nach dem SPD-Entwurf massiv ausweitet werden. So soll die Polizei alle Teilnehmer einer Veranstaltung filmen dürfen, ohne dass eine konkrete Gefahr vorliegt. Eingeführt und auf eine gesetzliche Basis gestellt werden soll nach dem SPD-Entwurf auch die Online-Durchsuchung und die Überwachung von Computern mit Staatstrojanern. Darüber hinaus soll das Abhören von Telefonaten ausgeweitet werden. An der visuelle und akustischen Wohnraumüberwachung - "Großer Lauschangriff" - die dem Kernbereich privater Lebensgestaltung zuzurechnen ist, soll im Kern festgehalten werden.
Der Praxis der Polizei, bei Großdemonstration die Region zuvor als Gefahrengebiet zu deklarieren, erteilen Polizeiwissenschaftler eine Absage: "Das kollidiert mit dem Versammlungsrecht", sagte der Polizeirechtsprofessor Dieter Kugelmann von der Hochschule der Polizei in Münster im Innenausschuss. Hingegen unterstützten alle Experten einen Vorschlag der Linkspartei, der im SPD-Entwurf fehlt, nach der individuellen Kennzeichnungspflicht von Polizisten mit Zahlen-Codes. "Das schafft Vertrauen bei den Bürgern", sagt Kugelmann. "Wir wollen die Demokratisierung des Polizeirechts", sagt Schneider zu ihren Gesetzesentwürfen, "und eine parlamentarische Kontrolle verdeckter Ermittlungsmaßnahmen."
Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen
Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Friedensforscherin
„Wir können nicht so tun, als lebten wir in Frieden“
Klimaneutral bis 2045?
Grünes Wachstum ist wie Abnehmenwollen durch mehr Essen
Prozess gegen Maja T.
Ausgeliefert in Ungarn
Bundesregierung und Trump
Transatlantische Freundschaft ade
Bundestagswahl für Deutsche im Ausland
Die Wahl muss wohl nicht wiederholt werden
CDU-Chef Friedrich Merz
Friedrich der Mittelgroße