Polizeiaktionen gegen Flüchtlinge: "Kaukasier" nicht betroffen
Weitere Personenkontrollen gegen Lampedusa-Flüchtlinge. Zwei Männer in Untersuchungshaft, verantwortlich sein will weder die Polizei noch die Ausländerbehörde.
Die Innenbehörde dreht weiter an der Schraube der Repression gegen die „Lampedusa-Flüchtlinge“: Auch am Donnerstagmorgen kontrollierte ein massives Polizeiaufgebot wieder Schwarze im Bereich rund um die Reeperbahn. Die St. Pauli-Kirche am nahe gelegenen Pinnasberg gewährt rund 80 der Flüchtlinge Obdach. Zwei Menschen wurden vorübergehend festgenommen, einer der beiden wurde erkennungsdienstlich behandelt. Am frühen Morgen hatten Sympathisanten vorüber den Berufsverkehr auf der St. Pauli Hafenstraße vorübergehend blockiert.
Aktivisten aus antirassistischen Gruppen sind mittlerweile dazu übergegangen, die Flüchtlinge durch den Stadtteil zu begleiten, um Polizeiaktionen zu erschweren, wie sie in den vergangenen Tagen häufiger vorkamen. So waren Mittwoch Mittag zwei Männer festgenommen worden. Erst am späten Abend wurde die Anwältin Daniela Höldl eingeschaltet, als die Polizei die beiden Afrikaner ins Untersuchungshaftgefängnis überführten – unter Berufung auf Paragraf 3 des Sicherheits- und Ordnungsgesetzes.
Am Donnerstag wollte dafür weder die Polizei noch die Ausländerbehörde verantwortlich sein: „Ich kann dazu überhaupt nichts sagen“, sagte Norbert Smekal, Sprecher der Ausländerbehörde. Gleichwohl ging Polizeisprecher Mirko Streiber gegenüber der taz davon aus, dass die Ingewahrsamnahme im Auftrag der Behörde geschehen sei.
Innensenator Michael Neumann (SPD) hat sich auf seiner Internetseite gegen den Vorwurf verwahrt, die Polizei betreibe „racial profiling“, kontrolliere also nach „rassischen“ Kriterien. Um gleich darauf auszuführen, „dass es sich um Flüchtlinge aus Nord- und Westafrika handelt. In diesen Regionen ist der Anteil der Menschen kaukasischen Erscheinungsbildes nach allgemeiner Auffassung eher gering.“
Die Lampedusa-Gruppe hat sich derweil erneut in einem Offenen Brief an Neumann sowie Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) gewandt. Mitnichten verstecken sich die Flüchtlinge „hinter ihrer Identität“ – wie vom Senat behauptet, vielmehr drücke sich die Stadt davor, „sich der Realität zu stellen“, schreiben Affo Tchassei, Asuquo Udo und Anane Kofi Mark. „Unser Erscheinen in der Stadt hat einen Grund, den wir nicht verursacht haben.“ Die laufenden Personenkontrollen und -erfassung werden in dem Schreiben als rechtlich fragwürdig bezwichnet, „weil wir Inhaber gültiger Papiere sind“. In der Tat sind rund 300 Männer, die von Libyen aus nach Lampedusa gelangt waren, mit italienischen EU-Reisepapieren nach Hamburg gelangt.
Die Schüler Stadtteilschule St. Pauli eine Petition verabschiedet, ihre Turnhalle im Winter für die Lampedusa-Flüchtlinge zu öffnen, damit sie in den ohnehin beheizten Räumen übernachten können. Die Nordkirche hat zudem beim Bezirk Altona beantragt, in drei Kirchengemeinden 35 Wohncontainer aufstellen zu dürfen, was der SPD–Senat verbieten will, wenn die Flüchtlinge nicht Namen und Aufenthaltsstatus preisgeben.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Gastbeitrag in der „Welt am Sonntag“
Bequem gemacht im Pseudoliberalismus