Polizei twittert 24 Stunden alles: Sinfonie der Großstadt
Mit ihrer 24-stündigen Twitter-Aktion wollte die Berliner Polizei um Nachwuchs werben. Ganz nebenbei hat sie Kulturgeschichte geschrieben.
„Hund fühlt sich in #Spandau alleine und macht sich mit lautem Bellen in der Wohnung bemerkbar. Wir werden helfen.“
„Kleinkind fährt mit Tretroller gegen Auto. Wir helfen beim Austausch der Personalien.“
„90-jähriger Ehemann verprügelt seine 80-jährige Ehefrau, die zur Nachbarin flüchtet und uns alarmiert.“
Nahezu im Minutentakt gab es am Wochenende solche Meldungen bei Twitter. Von Freitag bis Samstag, insgesamt 24 Stunden, hat die Berliner Polizei dort zu nahezu all ihren Einsätzen in der Hauptstadt 140-Buchstaben-News veröffentlicht. Eigentlich wollte sie damit um Nachwuchs werben; tatsächlich aber hat sie ganz nebenbei mal eben Kulturgeschichte geschrieben.
Beim Lesen der Aneinanderreihungen dieser Banalitäten des Bösen wird zunächst einmal klar – so böse ist der gemeine Polizeikunde gar nicht. Zwar gibt es auch Meldungen über Einbrüche, Betrüger und – von wegen junges Berlin – gestohlene Rollatoren. Doch in erster Linie kümmert sich die Hauptstadtpolizei um alltägliche Verzweiflungen. Da kommen Menschen nicht in ihre Wohnung oder nicht hinaus. Da beschweren sich Nachbarn über laute Musik. Da wartet ein Rollstuhlfahrer vor einem defekten U-Bahn-Aufzug.
Das zufallsbestimmt direkte Nebeneinander von Meldungen wie: „Erst war die Handtasche weg, als wir kamen war doch nüscht“, und: „Überbringen einer Todesnachricht in #Lichtenberg“, lässt schließlich ein Panoptikum entstehen, an dem weder Soziologen noch Kulturwissenschaftler jemals vorbeikommen werden, wenn sie dereinst erforschen wollen, wie es war, im Berlin anno 2014.
Zu recht erinnert schon der Hashtag #24hPolizei des Twitterprojektes an das Mammutunternehmen des Rundfunks Berlin-Brandenburg „24 Stunden Berlin“, der einen Tag im September 2007 dokumentierte und dann in „Echtzeit“ ins Fernsehen stellte – allerdings erst ein Jahr später. Die Polizei ist da deutlich schneller. Und sie kann selbst neben der Mutter aller Stadtleben-Dokus bestehen: dem Schwarz-Weiß-Klassiker „Berlin - Sinfonie der Großstadt“. Der wurde 1927 dank schneller Schnitte und ohne Protagonisten so sehr Stilikone des damals noch jungen Mediums Film, dass er bis heute Protagonisten der Elektroszene zu Begleitmusik inspiriert.
Man hat sie schon förmlich vor Augen, die Politwitter-Lesungen mit Beats.
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