Politologe über DSK und die Folgen: "Dieser Skandal schadet Frankreich"
Die USA sind zu prüde, Frankreich zu freizügig, sagt Politologe Dominique Moïsi. Nur falls die Vorwürfe gegen Strauss-Kahn zutreffen, wären sich USA und Frankreich schnell wieder einig.
taz: Herr Moïsi, Sie kennen Dominique Strauss-Kahn sehr gut. Wie haben Sie reagiert?
Dominique Moïsi: Zutiefst schockiert, sogar ungläubig wie alle, die ihn ein wenig kennen. Man hat Mühe, sich vorzustellen, das das möglich sein kann. Und dann fragt man sich doch, ob es nicht eine Facette "Dr. Jekyll and Mister Hyde" gibt. Das heißt, man fragt sich, ob der bekannte Politiker, der Professionelle eine finstere Seite hatte. Doch die Ungläubigkeit überwiegt.
Dominique Moïsi ist Mitbegründer des Institut français des relations internationales. 2008 erschien sein Buch "Kampf der Emotionen. Wie Kulturen der Angst, Demütigung und Hoffnung die Weltpolitik bestimmen".
In Frankreich hat auch das spektakuläre Vorgehen der amerikanischen Justiz schockiert. Das hat sogar antiamerikanische Reflexe wiederbelebt. Wird diese Affäre die Beziehungen zwischen Frankreich und den USA belasten?
Nein, so weit möchte ich nicht gehen. Die Bilder dieser Schaujustiz, die vorsätzlich einen Angeschuldigten, dessen Schuld nicht belegt ist, öffentlich demütigt, waren schockierend. Das hat anfänglich den Antiamerikanismus ein wenig wiederbelebt. Es ist an der Justiz in New York, Beweise zu liefern. Und falls dies der Fall sein wird, wird man auch in Frankreich sagen, das sei Gerechtigkeit. Vergessen Sie nicht, dass in Frankreich seit Jahren eine Kampagne zur Bekämpfung der Gewalt gegen Frauen geführt wird.
Die Tatsache, dass der Staatsanwalt in New York ausdrücklich den Präzedenzfall Polanski erwähnt hat, lässt vermuten, dass es da noch eine offene Rechnung gibt, weil die amerikanische Justiz es Frankreich nie verziehen hat, dass der von Kalifornien steckbrieflich gesuchte Roman Polanski nicht ausgeliefert wurde.
Das ist nicht auszuschließen. Es gibt bedeutende kulturelle Unterschiede: Die Franzosen sind fasziniert vom Geld, die Amerikaner vom Sex. In den USA gibt es eine puritanische Haltung, in Frankreich eine gewisse Freizügigkeit. Aber solche Differenzen würden verschwinden, falls das Verbrechen bewiesen würde. Diesbezüglich gibt es in Frankreich und in den USA keine unterschiedliche Beurteilung. Vergewaltigung ist Vergewaltigung.
In diesem Fall wird nicht erst das Urteil, sondern schon die Erhebung der Anklage und das Strafverfahren weitreichende Folgen haben. In erster Linie in der französischen Innenpolitik für die Sozialisten.
Es ist noch zu früh, um das abzuschätzen. Natürlich müssen die Sozialisten ihre Wahlstrategie neu organisieren. Das gilt aber auch für Nicolas Sarkozy; er hatte sich darauf eingestellt, dass im Wahlkampf Strauss-Kahn sein Gegner sein werde. Sarkozys neuer Gegner könnte ihm vielleicht noch gefährlicher werden. Nur dies kann man mit Gewissheit sagen: Diese "Affäre" wird dem Front National nützen. Der FN führt eine Kampf gegen die Elite und wird nun sagen: Wir waren schon immer gegen dieses korrupte Establishment.
Welche Folgen hat die "Affäre" für die Nachfolge an der Spitze des Internationalen Währungsfonds, den Strauss-Kahn geleitet hat?
Es wird meiner Ansicht nach für eine Europäerin wie die französische Wirtschaftsministerin Christine Lagarde sehr schwierig sein, diesen Posten zu erhalten. Die Ansprüche aus anderen Teilen der Welt waren schon vorher groß. Wird es also Kemal Dervis sein? Er dürfte von den USA unterstützt werden, und er wird von einigen in Europa als kleineres Übel betrachtet. Ich meine, in diesem internationalen Bereich wird Dominique Strauss-Kahn mit seinem großen Verhandlungsgeschick am meisten fehlen. Er ist ein bedeutender Ökonom.
Und Griechenland verliert eine Stimme bei den Verhandlungen in der Euro-Gruppe?
Nicht nur Griechenland. Das ganze Währungssystem ist destabilisiert. Strauss-Kahn ist ein hochbegabter Mann. Ich weiß nicht, ob er Präsident in Frankreich hätte werden können, aber auf jeden Fall war er ein guter IWF-Direktor.
Schadet dieser Skandal auch dem Image Frankreichs in der Welt? Vor allem im bürgerlichen Regierungslager wird dies befürchtet.
Ja, das trifft zu. Der Schaden ist angerichtet. Frankreich erhebt den Anspruch auf wichtige Posten. Ein Franzose auf einem Schlüsselposten, der sich in unentschuldbarer Weise verhält, verrät die ihm übertragene Verantwortung. Und das zu einem Zeitpunkt, wo die Bedeutung Frankreichs in der Welt infrage gestellt wird. Schon vor dieser Affäre hieß es, die Franzosen seien überrepräsentiert in den internationalen Institutionen.
Weil Präsident Nicolas Sarkozy alles versucht, um Frankreich außenpolitisch wieder in den Vordergrund zu rücken?
Genau. Das kann deshalb auch die französische Außenpolitik beeinträchtigen und destabilisieren.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Erderwärmung und Donald Trump
Kipppunkt für unseren Klimaschutz
Bundestagswahl am 23. Februar
An der Wählerschaft vorbei
Streit um Russland in der AfD
Chrupalla hat Ärger wegen Anti-Nato-Aussagen
EU-Gipfel zur Ukraine-Frage
Am Horizont droht Trump – und die EU ist leider planlos