Politische Krise in Spanien: Sozialisten lassen Rajoy regieren
Spaniens alter Premier wird wohl auch der neue sein. Möglich macht das die Enthaltung von mindestens elf Abgeordneten der Sozialisten.
Anfang des Monats hatte ein anderer Kleiner Parteitag den Generalsekretär der Sozialisten, Pedro Sánchez, zum Rücktritt gezwungen. Dieser wollte um jeden Preis am „Nein“ zu einer Regierung Rajoys festhalten und Wege für eine alternative Mehrheit mit der jungen Antiausteritätspartei Unidos Podemos (UP) und nationalistischen Parteien aus Katalonien ausloten. Die Regionalfürsten der PSOE – allen voran die Chefin der andalusischen Autonomieregierung Susana Díaz – wollten diesen Weg auf keinen Fall mitgehen. Sie sind strikt gegen jedwede Regierungsbeteiligung von UP.
Die „Putschisten“, wie sie von vielen an der sozialistischen Parteibasis genannt werden, haben die Zeit zwischen den beiden Kleinen Parteitagen genutzt, um einen geschäftsführenden Parteivorstand mit Verteidigern der Duldung Rajoys zu besetzen – und nun das Präsidium des Kleinen Parteitags auszuwechseln. Abgestimmt wurde am Sonntag per Aufruf, um genau festzuhalten, wer zu welchem Lager gehört.
Die Debatte war heftig, die Stimmung angespannt. Insgesamt meldeten sich 54 Redner zu Wort, darunter viele Parteigrößen. Nur die Landesväter, die in ihrer Region mit Unterstützung von Podemos regieren, hielten sich zurück und schickten ihre Stellvertreter vor – die ebenfalls die Duldung Rajoys verteidigten. Alle sprachen von der Verantwortung der Sozialisten für Spaniens Zukunft. Die Parlamentswahlen erneut zu wiederholen, würde das Land in „eine anormale Situation führen“. Dann würde die PSOE, die bei den vorgezogenen Neuwahlen im Juni das schlechteste Ergebnis aller Zeiten einfuhr, weitere Stimmen verlieren. Der Urnengang vom Juni war notwendig geworden, nachdem nach den regulären Wahlen vergangenen Dezember weder Rajoy noch Sánchez in der Lage waren, eine Regierungsmehrheit zu finden.
Nun werden die Sozialisten im Parlament beim ersten Wahlgang erneut gegen Rajoy stimmen. Im zweiten Wahlgang reicht dann eine relative Mehrheit. Wenn sich elf Sozialisten enthalten, ist Rajoy, der auf die Stimmen seiner Partido Popular und die der rechtsliberalen Ciudadanos setzten kann, gewählt.
Ob sich nur elf Sozialisten enthalten oder die gesamte Fraktion, war bei Redaktionsschluss ebenso wenig klar, wie das, was mit eventuellen Abtrünnigen geschehen soll. Mehrere Abgeordnete, darunter alle aus Katalonien, haben bereits erklärt, auch im zweiten Wahlgang mit „Nein“ stimmen zu wollen. Der geschäftsführende Parteivorstand droht, sie in diesem Falle aus den Parteistrukturen zu verbannen. Offiziell sind die katalanische Sozialisten eine eigenständige Partei. Käme es zum Bruch, müsste die PSOE im spanischen Nordosten eine eigene Sektion aufbauen. Diese dürfte nur schwer möglich sein.
Mehrere Dutzend Parteimitglieder protestierten während des Kleinen Parteitags vor der PSOE-Zentrale in Madrid, die von der Polizei geschützt wurde. In den vergangenen Wochen hatten sich in Hunderten Gemeinden und Stadtteilen die Ortsvereine getroffen, um ein „Nein“ zu Rajoy einzufordern.
Auf Initiative des Bürgermeisters des andalusischen Orts Jun, José Antonio Rodríguez, wurden an der Basis insgesamt 94.000 Unterschriften für einen sofortigen Parteitag und die Urwahl eines neuen Generalsekretärs gesammelt. Das sind mehr als die Hälfte aller Parteimitglieder. Laut Statuten müsste der geschäftsführende Vorstand diesem Basisantrag stattgeben. Die Entscheidung lässt auf sich warten.
Die Andalusierin Susana Díaz mahnte in ihrer Rede „zur Einheit der Partei“, um „künftige Wahlen zu gewinnen“. Die PSOE stehe vor der schwierigen Aufgabe, ihre Glaubwürdigkeit als Oppositionskraft zurückzugewinnen, wolle sie nicht weitere Stimmen verlieren.
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