Politische Krise in Senegal: „Hände weg von der Verfassung“
Vor allem junge Senegales:innen haben erneut gegen die Verschiebung der Präsidentschaftswahl protestiert. Ein erster toter Demonstrant ist zu beklagen.
Im Kurznachrichtendienst X teilen User:innen auch Fotos und Videos von Szenen aus anderen Städten wie Ziguinchor und St. Louis. Eins haben alle Proteste gemeinsam: In der Mehrzahl bekunden wütende junge Männer ihren Unmut über die Verschiebung der Präsidentschaftswahl vom 25. Februar. Aktuell soll nun am 15. Dezember gewählt werden. Das heißt, Präsident Macky Sall könnte rund ein Jahr länger als eigentlich von der Verfassung vorgesehen im Amt bleiben.
Diop ist vorbereitet. Er trägt eine Mütze und ein schwarzes T-Shirt. Seinen richtigen Namen gibt er nicht preis, er möchte lieber nicht erkannt werden. Aus Angst vor möglichen Repressionen werden Demonstrierende zunehmend vorsichtig.
Er zieht sich den ebenfalls schwarzen Mundschutz über die Nase, damit er das Tränengas ertragen kann. Wie schon während der vergangenen beiden Proteste in Dakar haben die Sicherheitskräfte es umgehend eingesetzt. Immer wieder wird neues gefeuert. Diop geht es vor allem um eins: „Niemand darf unsere Verfassung anfassen. Wir wollen doch nur wählen.“ Und zwar am 25. Februar. So stand es auch in dem Protestaufruf. In ihm wird auch der angekündigte nationale Dialog abgelehnt.
Für Senegal ist es ein Déjà-vu. Schon 2011 hieß es: „Hände weg von meiner Verfassung.“ Salls Vorgänger Abdoulaye Wade ermöglichte deren Änderung eine erneute Präsidentschaftskandidatur im Jahr 2012. Ausgerechnet gegen Macky Sall verlor er damals in der Stichwahl.
„Ich habe keine Steine, nur Wasser“
Bevor Diop weiter in Richtung Platz der Nation zieht, ist ihm noch etwas wichtig. „Wir wollen friedlich demonstrieren.“ Zum Beweis dafür zeigt er seine Wasserflasche. „Ich habe keine Steine, nur Wasser.“
Dennoch werden aus Baumstämmen Straßensperren errichtet. In einer Seitenstraße werden die ersten Pflastersteine geworfen. Anwohner:innen beobachten die Entwicklung von ihren Balkonen. Die umliegenden Geschäfte sind längst geschlossen und verriegelt. Ein Händler versucht, seine Holzpaletten von der Straße wegzuschleppen, damit sie die Protestierenden nicht verbrennen. Es heißt, dass die Polizei Blendgranaten einsetzt. Es kommt zu Festnahmen.
Mehrere Journalist:innen twittern, dass sie von Sicherheitskräften angegriffen wurden. Auch sei Tränengas gegen sie eingesetzt worden. Absa Hane, Journalistin der Online-Nachrichtenseite Seneweb, wird zwischenzeitlich in Gewahrsam genommen und erleidet einen Schwächeanfall. Die Organisation Reporter ohne Grenzen (RSF) spricht von mindestens fünf Vorfällen. Einem Journalisten soll auch gegen den Kiefer geschlagen worden sein. Gemeinsam mit anderen nichtstaatlichen Organisationen hatte Amnesty International am Vormittag bereits gegen den Lizenzentzug von Walf TV protestiert. Das war im Rahmen der ersten Proteste am 4. Februar geschehen.
Am Samstag berichtet dann das Innenministerium, dass in St. Louis ein Student ums Leben gekommen ist. Sein Tod werde untersucht. Die Sicherheitskräfte seien nicht dafür verantwortlich, da sie an dem Universitätscampus nicht eingeschritten seien.
Aufgerufen zu den Protesten hat ein offenbar neuer Zusammenschluss verschiedener zivilgesellschaftlicher Gruppen und Initiativen. Die Rede ist von einem breiten Bündnis, dem auch Berufsverbände und religiöse Vereinigungen angehören.
Auch die Kritik internationaler Organisationen wird deutlicher. Am Freitag sagt UN-Generalsekretär António Guterres, er sei besorgt über die Lage im Land. Ein Sprecher fügt hinzu, dass auf Gewalt verzichtet und die Durchführung einer inklusiven und transparenten Präsidentschaftswahl im Rahmen der senegalesischen Verfassung sichergestellt werden müsse. Die Europäische Union betont, die Entscheidung zur Verschiebung wirke sich bereits auf die Stabilität und den sozialen Zusammenhalt des Landes aus. Streitigkeiten müssten durch einen „verantwortungsvollen Dialog und die bereitgestellten friedlichen Rechtsmittel“ beigelegt werden.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen
Sport und Krieg in der Ukraine
Helden am Ball
Rechte Gewalt in Görlitz
Mutmaßliche Neonazis greifen linke Aktivist*innen an
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Das Weihnachten danach
Nachhaltige Elektronik
Ein blauer Engel für die faire Maus
Bodycams bei Polizei und Feuerwehr
Ungeliebte Spielzeuge