Politikwissenschaftler über Chinas Militär: „Die Sorge ist da“
Asiatische Nachbarn sind besorgt über die wachsende Stärke des chinesischen Militärs. Dessen Haushalt steigt kontinuierlich, die Streikräfte werden modernisiert.
taz: Herr Sandschneider, der scheidende KP-Chef Hu Jintao soll auf dem Parteitag auch den Vorsitz der Zentralen Militärkommission niederlegen.
Eberhard Sandschneider: Wenn das wirklich passiert, zeigt es, dass sich Machtwechsel in China weiter institutionalisieren und ein abtretender Parteichef tatsächlich alle Funktionen abgibt. Der Vorsitz der Militärkommission ist Chinas wichtigstes Amt. Erst dessen Übernahme dokumentiert den tatsächlichen Machtwechsel.
Wird die Rolle der Armee stärker?
Nicht zwangsläufig. Die politische Kontrolle des Militärs wird auch unter der künftigen Führung sakrosanktes Element chinesischer Politik sein. Chinas Militärfähigkeiten steigen, aber nicht wegen Personalwechseln, sondern als Folge wirtschaftlicher und politischer Machtgewinne des Landes. Das Militär bleibt wichtiges Element der Außenpolitik. Aber ein Signal, dass Chinas Außenpolitik militärischer wird, gibt es jetzt nicht.
Wird umgekehrt Xi größeren Einfluss auf das Militär haben?
Wie das intern aussieht, wissen wir bedauerlicherweise nicht. Klar ist, dass sich jeder Parteiführer in China um ein vernünftiges Verhältnis zur Militärführung bemüht. Nach wie vor gilt: Die letzte Rückfallbastion für die Aufrechterhaltung auch innenpolitischer Stabilität ist die Volksbefreiungsarmee.
China hat mit mehreren Nachbarn Territorialkonflikte. Wird es zur Gefahr?
Nein, aber die Nachbarn sehen Chinas gewachsene militärische Fähigkeiten mit Sorge. Selbst wenn diese einen relativ normalen Prozess darstellen angesichts der Größe und Leistungsfähigkeit Chinas, heißt das nicht, dass sie automatisch zu militärischen Konflikten führen.
Aber die Sorge ist da. Wie man Chinas gestiegenen Militärhaushalt beurteilt, ist durchaus zweischneidig. Gemessen am US-Militärhaushalt liegt er immer noch bei etwa einem Fünftel. Gemessen an den früheren Haushalten steigt er aber kontinuierlich. Vieles hat aber mit dringend notwendiger Modernisierung zu tun.
Droht ein militärischer Konflikt China–USA?
Das friedliche und kooperative Verhältnis zwischen den USA und China liegt im Interesse beider Partner. Das Risiko für die Weltpolitik besteht darin, dass dieses bilaterale Verhältnis immer konfrontativer wird. Obamas Asienpolitik darf man nicht überschätzen, die USA waren immer eine pazifische Macht, die jüngste Truppenverlegung nach Australien ist ein eher symbolischer Akt.
Heute sind die Beweglichkeit durch Drohneneinsätze doch viel wichtiger als stationierte Truppen. Es kommt darauf an, dass Obama und die neue chinesische Führung einen kooperativen Umgang finden.
Hat Europa keinerlei Einfluss?
Europäer sprechen gern von ihrer Softpower. Von diesen Kapazitäten kann man auch tatsächlich Einflussmöglichkeiten erwarten – wenn man nicht mit erhobenem Zeigefinger und predigend durch die Weltregion zieht, sondern sich darauf verlässt, dass europäische Erfahrungen wichtig sind für die Lernprozesse, die jetzt in Asien stattfinden.
Das gilt einmal für kollektive Sicherheitsstrukturen, da ist Europa ein dankenswertes Studienobjekt. Und das gilt auch für die Frage von Vergangenheitsbewältigung. Schaut man sich Chinas und Japans Umgang in den letzten Wochen mit dem Inselkonflikt an, kann man nur hoffen, dass sie etwas lernen von den Völkerverständigungsmechanismen zwischen Deutschland, Frankreich und Polen.
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