Politikversagen in MV : Alptraumschiffe
Die Werften in Mecklenburg-Vorpommern hatten schon 1990 keine Zukunft mehr. Dennoch werden dafür von der Landesregierung bis heute Milliarden an öffentlichem Geld verbrannt. Ein Lehrstück politischer Zukunftsverweigerung.
Von UDO KNAPP
taz FUTURZWEI, 18.01.22 | Industriepolitik war schon zu Zeiten der Nazis und später in der DDR ein Kampfmittel für ideologisch bestimmte autoritäre Machtinteressen. Nach der Wiedervereinigung ist in den neuen Bundesländern eine solche Industriepolitik aus politischem Kleinmut und Angst vor populistischem Widerspruch gegenüber einer rational begründeten Modernisierungspolitik fortgeführt worden.
Dabei gab es 1990 die historische Chance, auf der Grundlage lange gewachsener regionaler Strukturen mit dem vorhandenen Humankapital und den zentralen Entwicklungstrends einer sich sortierenden globalisierten Industrie eine neue, auch ökologische und digital gefasste Wirtschaft auf den Weg zu bringen. Die Voraussetzungen für einen solchen Weg waren nach dem endgültigen Zusammenbruch der DDR-Planwirtschaft hervorragend, und das trotz der ökologischen und wirtschaftlichen Verheerungen, die sie hinterlassen hat. Diese historische Chance wurde nicht genutzt. Stattdessen wurde versucht, koste es, was immer es kosten würde, die alten, unwirtschaftlichen industriellen Strukturen aus NS- und DDR-Zeit weiterzuführen.
So wurde in Mecklenburg-Vorpommern, dem Agrar-, Beamten- und Rückzugsland an der Ostseeküste, von allen Landesregierungen seit 1990 – unterstützt vom Bund – mit der Parole von der „Erhaltung der industriellen Kerne“ am Weiterbetrieb der Werften gearbeitet.
Diese Werften hatten aber schon 1990 keine Zukunft mehr. Der Welt-Schiffbau war aus vielerlei technischen, ökonomischen und wirtschaftspolitischen Gründen in Europa kein erfolgversprechender Industriezweig mehr. Südkorea, Japan und später China hatten mit ausbeuterischen Löhnen für ihre Arbeiter, mit massiver staatlicher Subventionierung und diskriminierenden Handelsbeschränkungen den Weltmarkt für den Schiffbau bis auf einige Nischen konkurrenzlos unter ihre Kontrolle gebracht. Daran hat sich bis heute nichts geändert.
Privatisierungen, Insolvenzen und sinnlos verbrannte Milliarden
Dennoch haben alle Landesregierungen in Mecklenburg-Vorpommern, immer abgesichert von der jeweiligen Bundesregierungen, den Werften eine Zukunft zu schaffen versucht, die sie niemals hatten. Privatisierungen, Insolvenzen und sinnlos verbrannte Milliarden pflastern diesen Weg. Zuerst wurden die Werften von der Treuhand 1990 privatisiert und der Bremer Vulkan Werft zugeschlagen, die 1997 in Ost und West pleite ging. Dann wurden die Werften an die dänische Möller Maersk Gruppe verkauft, die sich 2007 aus Mecklenburg-Vorpommern zurückzog. Erstaunlich bei diesem Abgang war unter anderem, dass eine fertiggestellte Ostseefähre für Scandlines, die 287 Millionen Euro gekostet hatte, schließlich für 27 Millionen abgegeben wurde. Die auf Maersk folgende Hegemann Werften Gruppe musste 2010 Insolvenz anmelden. Ihr folgte die Nord Yard, eine undurchsichtige Finanzholding aus Frankfurt, die bis zu ihrer Insolvenz immerhin bis 2016 brauchte. Und dann übernahm Genting die Werften.
Genting war und ist „ein malaysischer Vergnügungskonzern, dessen Konzept darin besteht, auf seinen von ihm möglichst selbst gebauten Monster-Kreuzfahrtschiffen Tausende seiner Kreuzfahrtkunden möglichst rund um die Uhr an Spieltischen und Automaten abzuzocken“ (FAZ). In der vergangenen Woche musste auch Genting, durch die Corona-Pandemie beschleunigt, Insolvenz anmelden.
Dieses „Who is who“ insolventer Kooperationspartner der mecklenburg-vorpommerschen Landesregierungen belegt nicht nur das persönliche Politikversagen aller Beteiligten. Es ist Ausdruck einer irritierenden Gedankenlosigkeit im Umgang mit der Zukunft des Bundeslandes, das seit 1999 von SPD-Ministerpräsidenten geführt wird, zunächst von Harald Ringstorff, dann von Erwin Sellering und seit 2017 von Manuela Schwesig.
Kein einziger der Zuständigen hat jemals für das fortlaufende Scheitern dieser Politik persönlich die Verantwortung übernommen, etwa durch einen Rücktritt von allen Ämtern. In 30 Jahren Werftenkrise wurden sehenden Auges rund drei Milliarden Euro an öffentlichen Fördermitteln verbrannt. Dazu kommen noch geplatzte öffentliche Bürgschaften in dreistelliger Millionenhöhe und die verlorenen Zuschüsse der Bundesanstalt für Arbeit und des Landes für die zahlreichen Transfergesellschaften in dieser Zeit, die die persönlichen Folgen für die freigesetzten Werftarbeiter abmildern sollten.
Sorge um die Arbeitsplätze als Verschleierungstatktik
Auch beim aktuellen Insolvenzverfahren, dem nun wohl endgültigen Aus für die Werften, wird die Sorge um die Arbeitsplätze immer nur dazu benutzt, um die Ideenlosigkeit der Verantwortlichen für eine Modernisierung der Standorte zu verschleiern. Waren es 1990 noch mehrere zehntausend Werftarbeiter, geht es heute noch um etwa 2.000 direkt auf den Werften Beschäftigte. Es wäre nicht gerechtfertigt, nur um diese Arbeitsplätze vor dem endgültigen Aus noch für ein Jahr zu erhalten, den verlorenen öffentlichen Mitteln noch einmal hunderte Millionen hinterher zu schieben, indem man das für 9.500 Passagiere ausgelegte Kreuzfahrtschiff „Global Dream“ weiterbaut. Selbst wenn es gelänge, das Schiff dann zu verkaufen, könnte der Verkaufserlös die Kosten für ein solches Vorgehen niemals einbringen. Und nur nebenbei, als Erinnerung für die Grünen: Eine fertig gebaute „Global Dream“ würde für viele Jahre zu den größten CO2-Schleudern auf allen Weltmeeren gehören.
Aber wie bei jeder Insolvenz zuvor, setzten SPD, CDU, Grüne und Linke bei ihrer Landtags-Sondersitzung zur Werftenkrise in der vergangenen Woche wieder alles daran, mit nicht einzulösenden Versprechen die Werften zu erhalten. Dabei könnte gerade die Insolvenz von Genting als – unverdiente – Chance auf einen industriellen Neuanfang unter sozialökologischen Vorzeichen genutzt werden.
In Mecklenburg-Vorpommern werden schon heute Überschüsse an regenerativen Energien produziert und in die ganze Bundesrepublik exportiert. Das Land könnte schon in wenigen Jahren als erstes Bundesland völlig ohne Energie aus fossilen Brennstoffen auskommen. Es wäre sinnvoll, die heutigen Werftstandorte für die Windkraftbranche und die Wasserstoffwirtschaft umzubauen und dort für die ganze Bundesrepublik grünen Wasserstoff herzustellen. Die 2.000 gut qualifizierten Werftarbeiter könnten hier dauerhaft sichere Arbeitsplätze finden. Vor allem anderen müsste sich die Landesregierung von Genting den ersten Zugriff auf alle Grundstücke an den Werftstandorten sichern, die bisher nicht in die Insolvenzmasse eingebracht worden sind. Es ist nur schwer zu ertragen, dass Genting wegen der Trennung von Werftbetrieb und Grundstücken in verschiedene Firmen bei allen Zukunftsplanungen an den Werftstandorten mit am Tisch sitzt.
Ein Neuanfang mit den Technologien für das nächste Jahrhundert
Die Ankündigung des Rostocker Oberbürgermeisters Claus Ruhe Madsen, die Werftgrundstücke in seiner Stadt kaufen zu wollen, ist das richtige Signal. Madsen ist Däne. Er kennt die Erfolgsrezepte von Kopenhagen, Malmö, Stockholm, Oslo und Helsinki für einen nachhaltigen Neuanfang auf den Industriebrachen in den Häfen dieser Städte. Was dort gelungen ist, kann in Rostock auch erreicht werden.
Der Vorschlag zur Güte lautet also: das halbfertige Kreuzfahrschiff verschrotten und keinen einzigen Euro mehr in die Erhaltung der Werftstandorte stecken. Stattdessen an den Werftstandorten in Rostock, Wismar, Stralsund und auch Wolgast einen kompletten Neuanfang mit den Technologien für das nächste Jahrhundert auflegen, die Grundstücke zurückkaufen und nur noch gut begründete Zukunftsprojekte öffentlich fördern.
Das Umsteuern in der Werftenpolitik auf einen solchen Zielkorridor wird eine Bewährungsprobe für Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck. Hier kann er zeigen, wie ein ökologischer Umbau der Industriegesellschaft funktioniert. Die Grundbedingung dafür ist der Bruch mit einer ideologisch missbrauchten Industriepolitik von Vorgestern.
UDO KNAPP ist Politologe und kommentiert an dieser Stelle regelmäßig das politische Geschehen. Er war in den 90ern stellvertretender Landrat von Rügen und arbeitete danach für den Aufbau Ost im Bundesministerium für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen.