Politikverdrossenheit? Nein Danke!

Hamburger Handwerk will Bürgerschaft stürmen – auch ohne eigene Liste  ■ Von Florian Marten

„Vier bis sechs Abgeordnete könnten es schon sein.“ Mindestens vervierfachen möchte der selbsternannte „Daueroptimist“ Jürgen Hogeforster, Chef der Hamburger Handwerkskammer, die Zahl der Handwerker in der 1997 frisch gewählten Bürgerschaft: „Gespräche mit allen demokratischen Parteien haben uns Zustimmung zu diesem Anliegen signalisiert.“ Aufs Parlament versessene Handwerker stehen laut Hogeforster bereit: „Wir haben Kandidaten für jede Partei, auch für die GAL.“

Das Ziel, die Handwerkerpräsenz im Stadtparlament weit über den blassen CDU-Hinterbänkler Karl-Heinz Hoheisel hinaus zu erhöhen, ist jedoch nur ein kleiner Punkt jener Politoffensive, mit welcher der rührige Hogeforster die Dominanz der Handelskammer in Sachen Politikberatung brechen möchte. Gestützt auf eine Umfrage bei allen 13.600 hanseatischen Handwerksbetrieben und einstimmige Beschlüsse des Gesamtverbands des Hamburger Handwerks präsentierte er einen vierteiligen Aktionsplan, mit dem sich seine Organisation in die Politik einmischen will.

Die seit Oktober öffentlich diskutierte Idee, mit einer eigenen Liste ins Rathaus zu ziehen, wurde nach heftiger und kontroverser Debatte – immerhin war sie von 72 Prozent der Handwerksbetriebe befürwortet worden – lediglich für die jetzt anstehende Wahl aufgegeben. Statt dessen sollen für die Wahl 2001 gezielt Persönlichkeiten aufgebaut und das Profil einer solchen Liste entwickelt werden.

Hogeforster, dem diese Idee gar nicht so lieb war, ist mit seinem Konzept einer ständestaatlichen Penetration sowieso viel glücklicher: Nach bayerischem Vorbild soll ein zwölfköpfiger „Parlamentarischer Rat, der von der Wirtschaft berufen wird“, gebildet werden, mit dem Mandat, aktiven Wirtschaftslobbyismus zu betreiben. „Themenallianzen mit allen gesellschaftlichen Kräften“, die Öffnung von Handwerkergremien für die Mitarbeit von PolitikerInnen und natürlich auch die künftigen Bürgerschaftler sollen den Reformanliegen des Handwerks zu politischer Durchschlagskraft verhelfen.

Hält man dem Kammerchef den Geruch von Ständestaat und Lobbyismus vor, der seine Vorschläge umwabert, hält er vehement dagegen: „Wenn wir nicht umgehend zu tiefgreifenden Reformen kommen, ist das gegenwärtige politische System in drei bis fünf Jahren kaputt. Das Handwerk ist ein Spiegelbild der Gesellschaft. Weil wir besser organisiert sind als andere gesellschaftliche Bereiche, können wir uns schneller artikulieren.“

Und manche von Hogeforsters inhaltlichen Ansätzen stoßen auch bei Hamburgs Grünen, mit denen er enge Gesprächskontakte pflegt, auf wohlwollende Zustimmung. Dazu gehören die Dezentralisierung und Enthierarchisierung des Stadtstaatsapparates und die Idee, Umweltgüter statt Arbeit zu besteuern, was in der Feststellung gipfelt: „Unsere Löhne sind nicht zu hoch, die Umweltgüter sind zu billig!“