Politikerin Kyenge zur Rechten in Italien: „Es ist ziemlich schlimm“
Holt die Rechte bei der Wahl eine Mehrheit, werden Migranten abgestraft, fürchtet EU-Abgeordnete Cécile Kyenge. Sie steht unter Polizeischutz.
taz: Am Sonntag wählen die Italiener. Die politische Stimmung ist sehr angespannt nach dem Vorfall von Macerata, wo ein Rechtsextremer im Februar auf Afrikaner geschossen hat. Der Täter hat darauf verwiesen, dass ein Nigerianer zuvor eine 18-jährige Italienerin getötet haben soll.
Cécile Kyenge: Ja. Was sich in Macerata abgespielt hat, ist sehr schlimm. Der Schütze, Luca Traini, ist aus seinem Haus gegangen, um schwarze Personen niederzuschießen. Ich definiere das als terroristische und faschistische Tat. Einwanderung wird in Italien momentan sehr instrumentalisiert. Luca Traini gehörte der Lega Nord an, einer rechtsextremen, rassistischen politischen Partei. Jeder erinnert sich, was passiert ist, als ich zur Ministerin ernannt worden bin.
Was denn?
Mitglieder der Lega Nord haben mich mit rassistischen Äußerungen attackiert, haben Todesdrohungen ausgestoßen. Bis heute lebe ich in einem Schutzprogramm der italienischen Polizei. Luca Traini war sogar Lega-Nord-Kandidat bei den Kommunalwahlen in Macerata. Seine Ideologie basiert auf der Vorherrschaft der Rasse.
Ist dieser Diskurs im Programm der Lega zu finden?
Ich kann nicht sagen, dass es im Parteiprogramm ist, aber ich kann sagen, dass bei vielen Mitgliedern oft Anspielungen auf dieses Thema der weißen Rasse gemacht werden. Luca Traini ist kein Verrückter. Er ist jemand, der einer äußerst präzisen Ideologie gefolgt ist.
Die italienische Politikerin ist 53 Jahre alt, geboren im Kongo, und heute EU-Abgeordnete für Italiens Partito Democratico
War das ein Einzelfall oder ist er bezeichnend für ein generelleres Klima?
In den vergangenen Jahren ist die Immigration in einem allgemeinen Klima des Unbehagens aufgrund mangelnder Lösungen für die wirtschaftliche Krise und für viele andere Probleme sehr instrumentalisiert worden. Man sagt, die Einwanderung sei schuld. Tatsächlich ist das nicht wahr. Es handelt sich um eine Unfähigkeit, Lösungen für bereits existierende Probleme zu schaffen. Manche politische Führungspersonen profitieren davon, um den Hass zu schüren und die europäischen Bürger glauben zu machen, die Immigration sei die Ursache ihrer Schwierigkeiten. Aber die Immigration kann als Ressource angesehen werden.
Was werden die Konsequenzen für Migranten sein, wenn es eine Mehrheit für das rechte Parteienbündnis aus Lega Nord, Silvio Berlusconis Forza Italia und der rechtsextremen Fratelli d ’Italia gibt?
Wir haben heute ein rechtes Bündnis, das sich in Richtung extremer Rechten lehnt, und das ist sehr gefährlich. Wenn also die Rechte an die Macht kommt, werden wir der Abstimmung von Gesetzen beiwohnen, die stärker und stärker die Migranten bestrafen.
In welcher Art und Weise?
Migranten haben zu vielen Leistungen nicht so einfach Zugang, angefangen bei der Gesundheit. Zu einem Zeitpunkt, unter der Regierung der Forza Italia, hat man den Zugang zu Gesundheit für Ausländer in Abrede gestellt. Der zweite Sektor ist der Zugang zu Unterkunft. Der dritte Punkt ist die Frage der Staatsbürgerschaft. Nachdem ich Ministerin wurde, habe ich die Reform des Staatsbürgerschaftsgesetzes auf die Agenda der Regierung des damaligen Ministerpräsidenten Letta gesetzt, um die Integration aller Personen zu fördern.
Muss man befürchten, dass eine künftige Rechts-Regierung die Repatriierung der Migranten organisiert?
Silvio Berlusconi hat schon die Idee von Abschiebungen heraufbeschworen. Ich glaube, das ist auch Teil ihres Programms. Aber man muss sagen, dass das nicht funktioniert hat, als sie an der Macht waren. Man benötigt dafür eine Finanzierung. Das heißt nicht, dass ich mit Abschiebungen einverstanden bin. Aber ich möchte sagen, dass unsere Kontrahenten im Wahlkampf sind und sie Sachen sagen, die womöglich keine Folgen haben. Man muss realistisch sein, es braucht Rückübernahmeabkommen mit den Herkunftsländern der Migranten. Warum wurde das nicht gemacht? Es braucht einen Dialog mit den Herkunftsländern. Das ist ein Thema, zu dem gearbeitet werden muss, wenn wir über eine Partnerschaft mit Respekt für die Menschenrechte reden wollen. Und man muss an einer Entwicklungspolitik der Herkunftsländer arbeiten. Die Migranten können nicht in ein Land zurückkehren, in dem die Rechte nicht respektiert werden, wo es keine Möglichkeiten der Wiedereingliederung gibt.
Haben die anderen EU-Staaten nicht ein Stück Verantwortung für die Schwere der Migrationskrise in Italien? Viele wollen keine Migranten mehr aufnehmen.
Ja, es ist ziemlich schlimm. Artikel 80 des Vertrags über die Arbeitsweise der EU spricht von „Solidarität“ und von der „gerechten Aufteilung der Verantwortlichkeiten“. Was passiert nun aber? Ein großer Teil der Länder des Ostens der EU beteiligen sich nicht am Management des Migrationsphänomens. 7 Länder von 28 verwalten 80 Prozent des Migrationsstroms. Das ist nicht normal!
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Pistorius lässt Scholz den Vortritt
Der beschädigte Kandidat
Utøya-Attentäter vor Gericht
Breivik beantragt Entlassung
Böllerverbot für Mensch und Tier
Verbände gegen KrachZischBumm
Haftbefehl gegen Netanjahu
Begründeter Verdacht für Kriegsverbrechen
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin