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Politiker über die italienische Mafia„Das Spektakel muss aufhören“

Francesco Forgione über korrupte italienische Eliten, Kampagnen gegen die Anti-Mafia-Bewegung und die Nachwehen des Berlusconismus.

Mafiaspektakel: Der Sohn des Bosses Riina darf im italienischen Fernsehen Märchen erzählen Foto: dpa
Ambros Waibel
Interview von Ambros Waibel

taz: Herr Forgione, trotz aller Opfer im Kampf gegen die Mafia ist Italien der einzige westliche Staat, in dem ganze Regionen unter der Kontrolle des Organisierten Verbrechens stehen. Wie ist das zu erklären?

Francesco Forgione: Sprechen wir nicht vom italienischen Staat, sprechen wir von den Eliten. Die haben sich für eine Form des Zusammenlebens mit den Mafien entschieden – mal mehr, mal weniger harmonisch. Das ist abhängig von Grad der öffentlichen Aufmerksamkeit und Empörung.

Welchen Vorteil haben die Eliten davon?

Das kriminelle System der Mafia erfasst im Süden alle Bereiche des Lebens, politische wie wirtschaftliche. Dieses System erlaubt eine Kontrolle der Wahlergebnisse. Diesen Pakt sind die Eliten eingegangen. Im Vorfeld der letzten Wahlen gab es im Parlament Wortmeldungen, in denen ganz klar die Interessen der Mafia zum Ausdruck kamen. Und solche Stimmen gibt es dort immer noch.

Gibt es auch Erfolge im Kampf gegen die Mafia?

Wir sind nicht in der Stunde null. Italien hat eine fortschrittliche Gesetzeslage. Wir beschlagnahmen jedes Jahr Millionen Euro, Grundstücke, Immobilien, Firmen.

Funktioniert das?

Vor allem die Cosa Nostra in Sizilien ist hart getroffen worden. In Rom hat man die politisch organisierte Kriminalität zerschlagen. Aber in Kalabrien ist ein neuer ’Ndrangheta-Krieg ausgebrochen, in Neapel herrscht ein blutiger Nachfolgekrieg um den Drogenmarkt. Es ist eine sehr harte Auseinandersetzung, weil die Mafien mit ihrem Reichtum inzwischen ein Teil der legalen Wirtschaft sind, überall, nicht nur im Süden. Und dem freien Markt ist es egal, wo das Geld herkommt – gerade wenn ein Land so in der Krise ist wie Italien.

Im Interview: Francesco Forgione

55, ist Politiker und Autor zahlreicher Bücher über die organisierte Kriminalität („Mafia-Export“, München 2010).

Von 2006 bis 2008 war er als Abgeordneter für die Partei Rifon­dazione Comunista Präsident der Antimafia-Kommission des italienischen Parlaments.

Am 21. Juni dieses Jahres wird Forgione zusammen mit Wissenschaftlern und Journalisten ein Manifest für eine erneuerte Anti-Mafia-Bewegung präsentieren.

Wer genau sind diese mafiafreundlichen Eliten?

Es besteht kein Zweifel, dass in den Jahren des Berlusconismus die direkten Wechselwirkungen zwischen Macht und Mafia sehr stark waren. Manche der Verantwortlichen – wie der Berlusconi-Intimus Marcello dell’Utri – sind inzwischen in Haft. Für die Mafia sind aber vor allem die Kontakte auf kommunaler Ebene interessant. Denn da geht es um Stadtplanung, um Baugenehmigungen, also um Aufträge und um Geld. Neu ist, dass diese Unterwanderung inzwischen auch Teile der Demokratischen Partei (PD) von Ministerpräsident Renzi betrifft. Und in der Stadt Quarto in Kampanien beobachten wir gerade, dass auch eine Stadtregierung, die vom Movimento 5 Stelle angeführt wird, der bislang als mafiaresistent galt, von der Camorra unterwandert werden kann.

Im Kampf gegen Berlusconi und die Mafien hat sich die Linke ganz auf die Justiz verlassen. Haben sich die in sie gesetzten Hoffnungen erfüllt?

Es war ein Irrtum der italienischen Linken, dass sie dachte, Berlusconi auf juristischem Weg loswerden zu können. Stattdessen hätte sie gesellschaftlich agieren und neue Mehrheiten schaffen müssen. Die extreme Politisierung der italienischen Justiz, insbesondere der Staatsanwaltschaft, hat ihr selbst am meisten geschadet.

Wodurch?

Die Parteinahme, die Dauerpräsenz mancher Staatsanwälte in den Medien und ihre Versuche, Karriere in der Politik zu machen – dieses ganze Spektakel muss aufhören. Sie haben den Rahmen verlassen, der ihnen von der Verfassung vorgegeben ist. Die Justiz, aber auch die Gesellschaft als Ganze, hat sich vom Berlusconismus noch nicht befreit. Und ich bin pessimistisch, dass es so bald gelingt.

Vor 20 Jahren wurde in Italien das wegweisende Gesetz 109/96 zur Konfiszierung und Wiederverwertbarkeit von Mafiabesitz für soziale Zwecke verabschiedet. Seit einiger Zeit sind zivilgesellschaftliche Organisationen, die diese Güter nutzen, Gegenstand staatsanwaltschaftlicher Ermittlungen geworden. Wie beurteilen Sie das?

Ziel des 109/96 – das übrigens auf ein Volksbegehren mit einer Million Unterschriften zurückgeht – war es, den repressiven Teil des Kampfes gegen die Mafien mit dem sozialen zu verbinden: Immobilien aus Mafiabesitz können Kommunen übertragen werden, Institutionen oder auch NGOs. Die bedeutendste ist Libera (Frei). Der Priester Don Luigi Ciotti hat sie 1995 gegründet. Die Organisation ist ein Dachverband für über 1.000 lokale Anti-Mafia-Initiativen. Libera ist wichtig, weil sie kulturell wirkt: in Schulen, in Kooperativen, die auf ehemaligem Mafialand Landwirtschaft betreiben. Libera war die erste Organisation, die Familien der Mafiaopfer zusammengebracht und ihnen eine gemeinsame Stimme gegeben hat.

Was waren jedoch die Vorwürfe?

Es gibt Anzeigen aus Libera selbst, die Don Ciotti eine nicht korrekte Geschäftsführung bei einzelnen Projekten vorwerfen. Das muss unbedingt juristisch aufgeklärt werden. Denn Libera verwaltet und bewirtschaftet nicht nur Güter, es erhält auch Geld aus öffentlichen Mitteln. Aber ich glaube nicht, dass Libera moralisch diskreditiert ist. Und wenn sich das Ganze zu einer Kampagne auswächst, nach der die Anti-Mafia-Bewegung eben auch nicht besser sei als die Mafia selbst, dann ist das vollkommen verfehlt.

Eine solche Kampagne gibt es?

Ja. Man muss aber differenzieren: Es gibt Ermittlungen wie die gegen den Vorsitzenden des Unternehmerverbands in Sizilien, Antonello Montante. Der Unternehmerverband hat eine Kampagne gegen Schutzgelderpressung unterstützt. Gleichzeitig ist er aber Teil des politisch-wirtschaftlichen Komplexes in Sizilien, in dem die Mafia immer mitregiert hat. Hier muss Klarheit geschaffen werden. Dann gibt es auch Korruptionsfälle innerhalb der Justiz – aber auch die rechtfertigen nicht die Gleichsetzung von Mafia und Anti-Mafia.

Wer betreibt diese Kampagne und wie funktioniert sie?

Es ist eine Kampagne von Teilen der Justiz, bei der alle große Medien dabei sind. Wenn ein Staatsanwalt in Neapel, Catello Maresca, in einem Interview mit der Zeitschrift Panorama sagt, dass Organisationen wie Libera nichts mehr mit dem ursprünglichen Anspruch zivilgesellschaftlichen Anti-Mafia-Engagements zu tun hätten – dann fragt man sich, warum er das tut.

Welche Folgen haben solche Aussagen?

Der Schaden für die Anti-Mafia-Bewegung ist enorm: Denn das Stärkste was sie hat, ist ihre moralische Kraft und Glaubwürdigkeit. Das zeigt sich besonders krass in Reggio Calabria bei dem früheren Museum der ’Ndrangheta, dem heutigen Osservatorio sulla ’Ndrangheta: Sein ehemaliger Vorsitzender, Claudio La Camera, wird seit drei Jahren regelmäßig vorgeladen. Dabei ist nicht einmal klar, was überhaupt die Anklage ist. Zu einem Prozess kommt es auch nicht.

Wie glaubwürdig sind derartige Ermittlungen?

Wir in Italien haben immer gesagt: Wir haben volles Vertrauen in die Arbeit der Justiz. Aber wir brauchen ein verlässliches Zeitfenster, in dem über Schuld oder Unschuld entschieden wird. Die Arbeit des Osservatorio sulla ’Ndrangheta ist wichtig und wird – das ist ein wenig absurd, ich weiß – weiterhin vom italienischen Justiz- und Innenministerium gefördert. Die Art, den Prozess zu verschleppen, läuft aber auf eine fortgesetzte Delegitimierung der Institution und der Person Claudio La Cameras hinaus.

Was kann man tun?

Wir können sensibilisieren. Alle müssen sich erneuern, die Justiz wie die Zivilgesellschaft. Wir müssen miteinander einfach darauf achten, dass bei dieser „Antimafia = Mafia“-Kampagne nicht das Kind mit dem Bade ausgeschüttet wird; dass nicht die Botschaft sich durchsetzt: Mut und Engagement lohnen sich nicht, am Ende sind ja doch alle gleich verdorben. Denn genau das ist es, worauf die Kriminellen setzen, um sich im Stillen zu reorganisieren. Es wäre nicht das erste Mal.

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