Politiker als „einfache Arbeiter“: Das Volk imitieren, statt es zu vertreten
Politiker lassen sich gerne in „einfachen“ Berufen ablichten, um volksnah zu wirken. Dahinter steckt ein merkwürdiges Rollenverständnis.
Eigentlich dachte man ja, das denkwürdigste Bild des amerikanischen Wahlkampfs wäre schon produziert gewesen: Donald Trump, der mit erhobener Faust die Menge anheizt, wenige Augenblicke nach einem Attentatsversuch auf ihn. Doch nun gelang es Trump, mit einem weiteren heroischen Bild die Medien weltweit zu fluten – als Held der Arbeit.
Der Millionenerbe stand an der Fritteuse eines McDonald's in Pennsylvania und verteilte Fast Food an hungrige Kunden. Ein offensichtlicher Versuch, Wählerinnen und Wähler aus der Arbeiterklasse zu gewinnen. Trumps Schicht dauerte eine halbe Stunde, das Restaurant war während dieser Zeit geschlossen. Hereingelassen wurden nur vom Secret Service Überprüfte.
Wer jetzt behauptet, dass nur die blöden Amis auf einen so durchschaubaren PR-Stunt hereinfallen, dem sei ein Blick ins eigene Land nahegelegt. Julia Klöckner (CDU) in den Weinreben, Stephan Weil (SPD) beim Haareschneiden, Cem Özdemir (Grüne) als Kartoffelbauer: Auch deutsche Politiker packen öffentlichkeitswirksam mit an und produzieren dabei hübsche Bilder. Stellt sich bloß die Frage, was das eigentlich soll. Wirklich jeder weiß doch, dass Berufspolitiker beruflich Politik machen, keine Burger.
Natürlich geht es bei diesen kurzen Arbeitseinsätzen um Selbstinszenierung. Man könnte den tatkräftigen Politikern zwar zugutehalten, dass sie dadurch neue Eindrücke gewinnen. Aber reicht eine auf wenige Stunden, gar auf wenige Minuten begrenzte Tätigkeit als Kassiererin aus, um die Mühen dieses Berufs zu begreifen? Um nachzuempfinden, was es heißt, für wenig mehr als den Mindestlohn zu arbeiten, und um die Schmerzen im Rücken zu spüren, die jahrelanges Kistenschleppen verursacht? Wohl kaum. Wenn es ihnen wirklich darum ginge, Erfahrungen zu sammeln, würden sich die Polit-Profis dabei nicht inszenieren. Die Arbeitskleidung etwa kann ihre mangelnden Berufskenntnisse auch nicht verdecken.
Volksnah, fleißig, hart arbeitend
Die Bilder, die dabei entstehen, sollen den Politiker oder die Politikerin als Teil der „hart arbeitenden Mitte“ in Szene setzen und ihm oder ihr ein möglichst volksnahes Antlitz verleihen. Hier zeigt sich das merkwürdige Rollenverständnis vieler Berufspolitiker. Sie versuchen, das Volk zu vertreten, indem sie es imitieren. Man denke an den ehemaligen saarländischen Ministerpräsidenten Tobias Hans (CDU), der mit zerzausten Haaren an einer Tankstelle steht, über die hohen Spritpreise klagt und „die vielen fleißigen Leute“ bittet, ihn bei der Forderung nach einer Spritpreisbremse zu unterstützen. Als wäre jemand anderes Ministerpräsident und nicht er selbst.
Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.
Genauso durchschaubar (und peinlich) ist es, wenn Friedrich Merz (CDU) einige Stunden lang den Krankenpfleger mimt. Für kurze Zeit einer sogenannten „einfachen Arbeit“ nachzugehen, macht eben keinen Spitzenpolitiker zum „einfachen Bürger“. Es zeugt vielmehr von Überheblichkeit, wenn man eine Arbeit als so einfach betrachtet, dass man sie mal locker selbst übernehmen kann.
Politiker sind keine Frisöre oder Bäuerinnen. So zu tun, als wären sie es, hilft nichts. Statt sich zu verkleiden, sollten die Volksvertreter lieber Politik für diejenigen machen, die sie imitieren. Blöd nur, dass es dafür mehr braucht als ein hübsches Foto.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Haftbefehl gegen Netanjahu
Begründeter Verdacht für Kriegsverbrechen