piwik no script img

PolitikIntegration bis zur Abschiebung

Ausbildung läuft, Sprache sitzt ganz gut, Wohnung in Hechingen ist vorhanden: der Syrer Hussain Salan ist in Deutschland angekommen. Aber der deutsche Staat will ihn nicht.

Hussain Salan kann die Abschiebung nicht verstehen. Ausbildungsbetrieb und Wirtschaftsministerin wollen ihn in Hechingen behalten. Foto: Wolfgang Schmidt

Von Gesa von Leesen

Hussain Salan sitzt im Gastraum des „Refugio“ mitten in Hechingen. Es ist später Nachmittag, er ist gerade aus der Berufsschule gekommen. Dort geht der 25-Jährige weiter hin. In seinen Betrieb, die Spedition Barth in Hechingen, dagegen nicht. Obwohl er dort seit dem 1. September einen Ausbildungsplatz zum Fachlageristen hat. Aber er darf nicht, sagt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF). Weil er unter das Dublinverfahren fällt, soll er nun nach Österreich abgeschoben werden. „Da war ich eine Nacht“, sagt der junge Mann, der vor fünf Jahren aus Syrien geflohen ist, mit sorgenvollem Gesicht. „Ich will doch nur arbeiten, Sicherheit haben, später eine Familie gründen.“ Er versteht nicht, was hier abgeht.

Denn Hussain Salan hat alles so gemacht, wie es öffentlich stets gefordert wird: Er hat schnell Deutsch gelernt, gleich nach seiner Ankunft in Hechingen vor zwei Jahren half er zunächst ehrenamtlich in der Küche im Refugio aus, wurde angestellt, war schließlich Küchenchef. Das Refugio ist ein stillgelegtes Hotel mitten in der 20.000-Seelen-Stadt, das von engagierten Bürger:innen zu einem Zentrum für vorläufige Unterbringung von Geflüchteten sowie Integrationszentrum inklusive einem Restaurant entwickelt worden ist.

Aus der Küche verabschiedete sich Salan im Sommer 2025, arbeitete drei Monate bei der Spedition Barth – und beeindruckte. „Da haben wir schnell gesehen, dass er für die Arbeit wirklich brennt“, sagt Ausbildungsleiterin Jaqueline Ziegler. Also bot die Firma ihm eine Ausbildungsplatz an, dachte, dass das ja funktionieren würde mit der Ausbildungsduldung. Ziegler schwärmt geradezu von dem Azubi: „So einen Enthusiasmus für die Arbeit vermisse ich sonst oft.“ Kurz und gut: eine vorbildliche Integrationsgeschichte. Wäre da nicht die verschärfte Asylpolitik der Bundesregierung.

Das wirkt alles recht willkürlich

Hussain Salan hatte gerade zweieinhalb Monate Ausbildung hinter sich, als nach viel Hin und Her mit Ämtern ein Brief eintraf: Ihm wurde untersagt zu arbeiten und seine Ausbildung fortzusetzen. Stattdessen: die Ankündigung seiner Abschiebung nach Österreich.

Salan hat viel hinter sich. Sein Vater wurde 2013 von Anhängern des Assad-Regimes verschleppt und ist seitdem verschwunden. Als auch Salan ins Visier des Regimes rückte, bekam die Mutter Angst um ihren ältesten Sohn und er floh. Über die Türkei nach Bulgarien, wo er einen Monat im Busmantsi-Gefängnis eingesperrt war. Danach ging es über Österreich nach Deutschland, wo er im Oktober 2022 eintraf und nach der Erstaufnahme 2023 in Hechingen landete. Salans Asylverfahren läuft nach der Dublin-Verordnung, er erhielt schließlich eine Fiktionsbescheinigung und konnte in die Ausbildung starten.

Im Refugio hat er von Anfang an mitgearbeitet. Weil er schon einigermaßen Deutsch konnte, half er beim Übersetzen und in der Küche. Denn: „In Syrien habe ich als Koch gearbeitet.“ Erst alles ehrenamtlich, dann wurde er angestellt und schließlich Küchenchef. „Ich mag, dass hier alles mit System ist“, sagt er und meint damit: erst Ausbildung, dann Beruf. Ein anderes System dagegen, die bürokratische Flüchtlingsjustiz, erscheint zunehmend unberechenbar.

Schon eine kurze Internetrecherche zeigt: Aus Ausbildung wird immer wieder abgeschoben. Seien es der angehende Friseur Hassan in Flensburg, Khalid in Hamburg, die syrischen Geschwister Rooua und Ibrahim, die in Norddeutschland Bäcker lernen sollten und nun in Griechenland hocken, Fabrice, der in Retzbach eine Maurerlehre machen wollte, oder Amira, die aus ihrem Kita-Job nach Litauen abgeschoben wurde. Alles Fälle, die es in die Regionalmedien schafften. Manche Protestinitiativen oder Petitionen von Sportvereinen, Freunden, Firmen hatten sogar Erfolg. Zum Beispiel durften der Mauerlehrling Fabrice und auch der Flensburger Friseur Hassan am Ende doch bleiben.

Auch Salans Freunde und Unterstützer:innen aus dem Refugio setzen auf Öffentlichkeit und Druck. Mehr als 800 Menschen haben für den Verbleib des 25-Jährigen unterschrieben. Günther-Martin Pauli (CDU), Landrat des Zollernalbkreises. Unser Befremden angesichts dieses rein bürokratiegetriebenen Vorgehens haben wir die verantwortlichen Stellen beim Regierungspräsidium und im Ministerium deutlich wissen lassen.“

Auch Baden-Württembergs Wirtschaftsministerin Nicole Hoffmeister-Kraut (CDU) hält von dem Abschiebeplan gar nichts. Sie hat an ihre Kollegin, die Justizministerin Marion Gentges (CDU), geschrieben und zählt auf, was eine Abschiebung für Folgen hätte: „Es würde die bisherige Integrationsleitung zunichtemachen, den Ausbildungsbetrieb wirtschaftlich beeinträchtigen und ein gesellschaftlich wie wirtschaftlich äußerst negatives Signal aussenden – gerade in einer Zeit, in der qualifizierte und motivierte junge Menschen dringend gebraucht werden.“ Den Brief schickte sie auch an Bundesinnenminister Alexander Dobrindt (CSU).

An den hatte sich bereits der AK Asyl Hechingen gewandt. Dobrindts Haus erwiderte, es sei nicht zuständig, man solle sich ans BAMF wenden. Das hat der AK Asyl längst getan, doch eine Reaktion ist bislang ausgeblieben.

„Integrationspreis in die Haare schmieren“

Jürgen Fischer vom Vorstand des AK Asyl ist frustriert über die Asylpolitik der Bundesregierung: „Ich glaube, die wollen ihre Statistik erfüllen, um am Ende des Jahres sagen zu können, wir haben soundsoviele Menschen abgeschoben.“ Zwar würde in der Öffentlichkeit stets über kriminelle Asylbewerber geredet, sagt Fischer. „Aber diejenigen, die sie abschieben sollten und wollen, die Straftäter, die erwischen sie genauso wenig wie deutsche Straftäter.“ Also griffen sie sich die, von denen sie wissen, wo sie sich aufhalten. Und das sind eben Menschen wie Salan, der alles richtig machen will, der zu den Ämtern geht, kooperiert, arbeitet, Steuern zahlt. „Diese Bundesregierung will mit aller Macht die AfD rechts überholen“, ist der Schluss des 66-jährigen IT-Selbstständigen.

Seine Vorstandskollegin im AK Christiane Gersdorf fühlt sich von der Politik betrogen. „Mit Aktionen wie dieser Abschiebung wird unsere Arbeit ad absurdum geführt.“ Erst im Mai diesen Jahres hat der AK Asyl Hechingen den Integrationspreis des Landes in der Kategorie „Zivilgesellschaft“ von Sozialminister Manfred Lucha (Grüne) bekommen. Auf den Fotos von der Preisverleihung sieht man Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) gemeinsam mit einigen Geflüchteten. Gersdorf: „Und jetzt das! Die können sich ihren Integrationspreis doch in die Haare schmieren.“

Gemeinsam für freie Presse

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Alle Artikel stellen wir frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade in diesen Zeiten müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass kritischer, unabhängiger Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen